Fall Marcus Held: Die SPD kriegt’s mit der Angst zu tun

In der SPD brodelt es gewaltig: Aufstand, Angst, Schämen – das sind Vokabeln, mit denen die innerparteiliche Befindlichkeit in Rheinhessen derzeit umschrieben wird. Wie lange kann die Parteiführung auf Kreis- und Landesebene noch tatenlos zuschauen? Wie lange darf Marcus Held mit seinen Affären und Eskapaden die SPD noch weiter schädigen? In unserem Wochenrückblick beleuchten wir die jüngsten Ereignisse im Oppenheim-Skandal – und dokumentieren am Beispiel eines Ehepaares, dass öffentlich propagierte Zustimmung zum Stadtbürgermeister bisweilen skurrile Züge zeigt.

Es brodelt in der SPD – und der Landeschef schweigt

Die SPD ist auf der Suche nach überzeugenden Positionen – bundesweit zur GroKo, in Rheinland-Pfalz zum GröBaZ. Der „Größte Bürgermeister aller Zeiten“, wie Marcus Held inzwischen selbst von Sozialdemokraten spöttisch tituliert wird, kriegt zunehmend Druck aus den eigenen Reihen. Die letzte Woche zeigte einmal mehr, dass es wegen des Oppenheim-Skandals in der Partei gewaltig brodelt:

Erst brachte Torsten Kram, mit seinen 51 Jahren bereits Oppenheimer SPD-Urgestein, einen nachdenklich-kritischen Brief in Umlauf. Prompt wurde er vom örtlichen Parteivorstand (Vorsitzender: Marcus Held) eingeladen, auf dass er sich doch bittschön konstruktiv und kritisch einbringe, schließlich stünden nächstes Jahr Kommunalwahlen an. Kram ließ sich nicht einfangen, er blieb auf Distanz: Im Moment seien Fraktion und Vorstand gefordert, teilte er mit. Und: „An meiner Haltung hat sich nichts geändert.“ Deshalb werde er auch weiterhin zur Montags-Demo gehen, „wie auch andere SPD-Mitglieder“.

Nach Kram meldeten sich die Jusos Mainz-Bingen: In einem Brandbrief forderten sie den SPD-Kreisvorstand auf, endlich in den Oppenheim-Skandal einzugreifen. Stärkster Satz in dem anderthalbseitigen Schreiben:

„Mit der Veröffentlichung des Rechnungshofberichts liegen nun Fakten vor, die mit unserem Verständnis von sozialdemokratischer Kommunalpolitik nicht vereinbar sind und zu denen sich in unseren Augen auch die SPD Mainz-Bingen äußern muss.“

Der Kreisvorstand (stellv. Vorsitzender: Marcus Held) hat sich bis heute noch nicht öffentlich geräuspert. Es ist aber davon auszugehen, dass er die Held-Affären auf Dauer nicht aussitzen kann. Zumal der Aufstand der Jusos von etlichen gestandenen Parteimitgliedern unterstützt wird, darunter auch einige Landtagsabgeordnete.

Ex-MdL Thomas Stritter schrieb dazu noch einen offenen Brief: Er schäme sich für die Oppenheimer Vorgänge – und dafür, dass zuständige Parteigremien nicht eingreifen.

Und dann gibt’s da noch den Ortsverein Rheinhessische Schweiz, den die SPD jüngst in der Verbandsgemeinde Wöllstein gegründet hat und der mit 150 Mitgliedern der zweitgrößte Ortsverein im SPD-Unterbezirk Alzey-Worms ist. Vorsitzender Johannes Brüchert sagte laut Zeitung: Man sei sich im Ortsverein einig sei, dass sich der Unterbezirk mit dem Thema Held befassen müsse. „Das ist eine schwierige Situation, viele haben Angst vor Schaden in der Partei.“

Angst in der Partei? Eigentlich wäre jetzt der SPD-Landesvorsitzende gefordert, Führungsqualitäten zu zeigen, Position zu beziehen und durchzugreifen. Doch Roger Lewentz, der als Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz auch für die Kommunalaufsicht zuständig zeichnet, macht weiter wie bisher. Mag die Partei wegen der Marcus-Held-Affären auch noch so sehr Schaden nehmen, er sagt einfach: nichts.

Montag ist wieder Demo-Tag

Montags-Demo, die vierte: Marcus Held tut so, als sei gar nichts passiert, und denkt offenbar nicht daran, als Stadtbürgermeister zurückzutreten. Dabei kann seine Amtsführung durchaus teure Folgen für ihn haben. Axel Dahlem erinnerte letzten Montag vorm Rathaus daran: Im Bericht des Rechnungshofs werde Held rechtswidriges und wirtschaftlich bedenkliches Handeln vorgeworfen, sagte der Demo-Initiator bei seiner Ansprache, auch kritisiere die Kontrollbehörde wiederholte Verstöße gegen haushaltsrechtliche Bestimmungen und dass der Stadtbürgermeister seinen Stadtrat nicht wahrheitsgemäß informiert habe. Das alles gipfelnd in Regressforderungen über mehrere Hundertausend Euro gegen den Stadtbürgermeister.

Ist der Ruf erst ruiniert… Held hält an seinem Amt fest, obwohl inzwischen das Image der ganzen Stadt leidet. „Wir Oppenheimer werden nicht nachgeben: Er muss zurücktreten, zum Wohle der Stadt!“, so Axel Dahlem. An diesem Montag, 29. Januar, soll wieder demonstriert werden. Die vierte Montags-Demo, alles wie gehabt: von 18 bis 19 Uhr, vorm Rathaus: Trillerpfeifen, Trommeln & Transparente mitbringen!

SWR-Reporter: Held wird zur Belastung für SPD

Der SWR hat offensichtlich landesweites Interesse am Oppenheim-Skandal ausgemacht, weshalb die Geschichten um den rheinhessischen Skandal-Bürgermeister allmählich zu einer Weekly Soap im dritten Programm mutieren. Letzte Woche widmete die Sendung „Zur Sache Rheinland Pfalz“ dem Fall Marcus Held erneut eine Reportage, diesmal fast sechs Minuten lang. Kleine Zitaten-Auswahl:

  • Moderatorin: Er ist wohl einer der ersten Bürgermeister im ganzen Land, gegen den es regelmäßig Montag-Demos gibt. Seine Fürsprecher werden sogar in der eigenen SPD immer weniger.
  • Reporter: Held führe die Stadt wie ein Fürst, hören wir oft, er verschwende Steuergelder, regiere am Stadtrat vorbei.
  • Demonstrantin: Was Marcus Held macht, ist keine Demokratie, für mich ist es fast wie Diktatur.
  • SPD-Mitglied Torsten Kram: Wir brauchen hier jemand, der wieder die Gemeinschaft versöhnt. Und dafür ist Held, der die Gemeinschaft gespalten hat, nicht mehr geeignet.

Roger Lewentz ließ – siehe oben – den SWR abblitzen: Der SPD-Landesvorsitzende lehnte eine Stellungnahme ab. Kamera-Fastenzeit? Es ist absolut unüblich für einen Politiker, sich selbst einen TV-Auftritt zu versagen. Lewentz muss schwerwiegende Gründe haben.

Auffällig: Auch Marcus Held, der noch vor wenigen Wochen in jedes Mikrofon Sprüche wie „Das ist alles eine Kampagne gegen mich“ und „man will mich zerstören“ sagte, wollte vor der Kamera nichts mehr sagen. O-Ton SWR-Reporter über den Politiker: „Für seine Partei wird er immer mehr zur Belastung.“

Marcus Held: Keine Transparenz bei Nebeneinkünften

Dass es Marcus Held mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt, haben wir bereits schwarz auf weiß im Bericht des Landesrechnungshofes erfahren. Neue Fragen, darauf machen Leser dieser Webseite aufmerksam, wirft ein Eintrag auf der Internetseite www.abgeordnetenwatch.de auf: Danach hat Held gegenüber dem Bundestag seine Nebeneinkünfte nur mit Stufe 1 (1000 bis 3.500 Euro) angegeben.

Das ist jedoch völlig korrekt: Bundestagsabgeordnete müssen Einkünfte nur dann angeben, wenn sie mehr als 1000 Euro im Monat betragen. Und dann müssen sie auch nicht den exakten Betrag nennen: Die Angaben werden in zehn Stufen veröffentlicht, Stufe 1 erfasst monatliche Einkünfte von 1.000 bis 3000 Euro.

Held hat nur sein Salär als Stadtbürgermeister angegeben, das beträgt 2186 Euro/Monat.

Dass Held darüber hinaus nicht unbeträchtliche Einkünfte bezieht, muss er nach den geltenden Vorschriften nicht angeben. Er kassiert als GWG und HGO-Chef weitere 850 Euro pro Monat, er lässt sich seine ehrenamtliche Tätigkeit als Hallenbad-Beauftragter mit bisher 600 Euro honorieren (ohne dass er dafür irgendeine Leistung erbringt, wie der Landesrechnungshof festgestellt hat), ein paar hundert Euro Sitzungsgelder kommen noch obendrauf… Insgesamt dürften seine Nebeneinkünfte bei über 4000 Euro liegen.

Wie jeder Bundestagsabgeordnete bekommt Marcus Held monatlich eine ordentliche Diät von derzeit 9542 Euro brutto plus eine steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von 4305 Euro. Dazu kann er bis zu 12.000 Euro im Jahr für Büromittel und 20.391 Euro im Monat für Mitarbeiter abrechnen…

„Derart abgesichert soll er (der Abgeordnete) nicht nur unabhängig arbeiten, sondern sich auch auf das Abgeordnetenmandat konzentrieren können“, heißt es auf abgeordnetenwatch.de, wo die Nebenverdienste der Politiker sehr kritisch betrachtet werden.

„Bezahlte Nebentätigkeiten sind letzten Endes ein Betrug am Wähler – weil dieser nicht ,100 Prozent Volksvertreter’ bekommt“, schreibt auch die renommierte Otto Brenner Stiftung, die in einer Studie die Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten untersucht hat. Ein zentraler Befund der Studie lautet: „Durch die unzureichende Regulierung dieses hochsensiblen Themas suggeriert das Parlament seine Käuflichkeit und leistet damit antiparlamentarischen, (rechts)populistischen Kräften unfreiwillig Argumentationshilfe.“

Für diesen Befund, so lässt sich in Kenntnis der Oppenheimer Verhältnisse feststellen, steht beispielhaft der SPD-Bundestagsabgeordnete Marcus Held.

Internet: die Inkarnation Oppenheimer Helden-Verehrung

Zum Abschluss unseres Wochenrückblicks wollen wir Ihnen noch eine kleine Geschichte erzählen, die ein erhellendes Schlaglicht wirft auf so manch öffentlich propagierte Zustimmung zur Politik des Stadtbürgermeisters:

Sie wissen ja bereits, dass immer wieder Leserbriefe in der „Allgemeinen Zeitung Landskrone“ erscheinen, in denen Marcus Held ziemlich euphorisch gelobt wird – oder alternativ seine Kritiker rüde angemacht werden. Wir haben schon mehrmals aufgezeigt, dass dahinter entweder Held treu ergebene Genossen stecken – oder Leute, die von ihm in irgendeiner Form abhängig sind (Job, Wohnung, Vereinspöstchen usw.) – oder auch SPDler, auf die beides zutrifft.

Längst hat sich der Verdacht erhärtet, dass es sich bei dieser Form der Oppenheimer Helden-Verehrung um bestellte Auftragsarbeiten handelt; manchmal könnte man sogar vermuten, dass die Briefe diktiert oder vorgeschrieben wurden.

In diesem Zusammenhang haben wir uns das Ehepaar Kress einmal etwas genauer angeschaut. Reporter der kleinen „Osthofener Zeitung“ hatten bei der ersten Anti-Held-Demo ein Internet-Filmchen gedreht und dafür Barbara Kress interviewt. Unwidersprochen konnte sich die Dame ziemlich heftig über Held-Kritiker auslassen, was ihr Mann, der stumm neben ihr stand, mit tumbem Nicken begleitete.

Das Interview wirkte inszeniert. Deshalb haben wir den Redaktionsleiter des Anzeigenblattes gefragt, wie es dazu gekommen sei. Der junge Mann erklärte, dass man über die Held-Demo ausgewogen habe berichten wollen, weshalb auch Held-Fürsprecher befragt wurden, die man „rein zufällig“ getroffen habe.

„Rein zufällig“ – sollen wir ihm das wirklich glauben? Jedenfalls fragen wir, ob’s nicht eher so war: Die Redaktion hatte Held vor der Demo angerufen und gebeten, vor der Kamera Stellung zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit fragte man praktischer Weise nach Gesprächspartnern, die sich wohlwollend zu Held äußern könnten. Daraufhin – so nehmen wir jetzt mal an, weil’s völlig naheliegend ist – schlug der Stadtbürgermeister Herrn und Frau Kress vor. Die beiden gelten als eine Art Inkarnation Oppenheimer Helden-Verehrung, ihr tiefer Glaube an das Gute im Handeln des Stadtbürgermeisters, sagen Nachbarn, zeige bereits religiös anmutende Züge.

Barbara und Rainer Kress waren 2014 nach Oppenheim gezogen. Von Anfang an waren sie auf „Held-Linie“, wofür sich Herr Kress öffentliches Lob abholen durfte: „Leute wie Rainer Kress sind ganz nach dem Geschmack von Marcus Held“, schrieb die Lokalzeitung nach dem Neujahrsempfang 2015. Der Stadtbürgermeister hatte den Ex-Polizisten öffentlich als großes Vorbild dargestellt: „Wir brauchen schließlich Neubürger, die sich mit der Stadt identifizieren.“

Ein Jahr später, im Januar 2016, traten die Kress der SPD bei. Sie zeigten sich als Genossen, wie sie gern gesehen sind in Oppenheim: folgsam, unkritisch, obrigkeitszentriert. Solche Parteimitglieder dürfen sich über gezielte Förderung durch Marcus Held freuen. Rainer Kress zum Beispiel stieg schon nach wenigen Monaten SPD-Mitgliedschaft in den örtlichen SPD-Vorstand auf.

Nun war’s wiederum an ihm, sich erkenntlich zu zeigen. Also schrieb Herr Kress, es war Mitte letzten Jahres, einen Leserbrief, den die AZ – damals noch voll auf Linie des Stadtbürgermeisters – umgehend veröffentlichte. Auszug:

Anlass, und zwar zur Mäßigung aus oben genannten Gründen, haben meines Erachtens sogenannte Gutmenschen und Scharfmacher, die in einer nicht gekannten Welle des Hasses und der selbstgerechten Verfolgung des Menschen Held und seiner Familie die Bürgerschaft in zwei Teile reißen. In ‚für ihn’ und ‚gegen ihn’. Solche Mitmenschen vergiften das gesellschaftliche Klima Oppenheims. (…) Ich stehe zu meinem Stadtbürgermeister, einen besseren und weitsichtigeren für das bisherige Wohl und die Zukunft dieser Stadt kann ich mir zurzeit nicht vorstellen.

Solcherart kniefällig bemüht, auf Schmusekurs mit dem Stadtbürgermeister zu bleiben, griff das Ehepaar auch natürlich zum Telefonhörer, als im September letzten Jahres die „Allgemeine Zeitung Landskrone“ die Meinung ihrer Leser zur Zukunft der Badeanstalt „Opptimare“ einfangen wollte. „Das Hallenbad leistet einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung der Bevölkerung“, sagten die Eheleute Kress, was die Zeitung auch wortwörtlich so wiedergab. Der Spruch dürfte ganz im Sinne von Marcus Held gewesen sein, der von der Existenz des Hallenbades schließlich nicht schlecht profitiert: Als ehrenamtlicher Badeanstalts-Beauftragter kassierte er jeden Monat bisher 600 Euro – ohne dass er, wie der Landesrechnungshof feststellte, irgendeine Leistung erbringen muss. Der Anruf der Eheleute Kress beweist zugleich, wie leicht solche Zeitungsumfragen zu manipulieren sind: Da muss einer nur die richtigen Leute zur richtigen Zeit zu den richtigen Anrufen animieren…

Und jetzt, wie gesagt, wurden Held-Fürsprecher für ein Video gesucht. Rein zufällig“ stand das Ehepaar Kress am Wegesrand parat. Achtung, Aufnahme – Barbara Kress legte los:

Ich habe eine solche Diffamierungskampagne, wie die hier gegen diesen Bürgermeister läuft, noch nirgendwo gesehen.

Ich finde die Vorgänge in Oppenheim wirklich unglaublich.

Ich finde, dass unser Bürgermeister Held gute Arbeit leistet, und ich bin auch sehr damit zufrieden.

Marcus Held hat diese Stadt wirklich vorangebracht. Oppenheim war tiefste Provinz, dieser Bürgermeister hat viel für die Stadt getan, das sollte man auch respektieren.

Es klang ein wenig wie auswendig gelernt, Frau Kress hatte abschließend noch einen guten Rat parat:

Man sollte sich nicht einer solchen persönlichen Diffamierungskampagne anschließen.

Da fragt man sich schon, warum das Ehepaar der Montag-Abend-Spaziergang ausgerechnet zur Anti-Held-Demo geführt hat.

Oder waren die beiden vielleicht doch nicht „rein zufällig“ vor Ort?

Nach oben scrollen