Ein Stadtbürgermeister namens Marcus Held wird mit dem morgigen Montag definitiv der Vergangenheit angehören. Doch sein Name bleibt in Oppenheim auf absehbare Zeit drückend präsent. Wie ist mit seinem Erbe umzugehen? Ein potentieller Nachfolger sorgt für Aufsehen, ein zweiter lässt nicht locker. Die Lokalzeitung, ausgerechnet, versucht Oberschiedsrichter zu spielen. Und dann geschieht im Hintergrund, was Skeptiker befürchtet haben: Marcus Held hat offenbar kurz vor seinem Sturz treu ergebene Gefolgsleute in wichtige Funktionen zu schieben versucht – bei der lokalen Wohnungsbaugesellschaft wird das jetzt erkennbar.
Oppenheim demonstriert – für die Zukunft
Der morgige Montag ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswerter Tag: Erst mit diesem 5. März tritt Marcus Held offiziell als Stadtbürgermeister zurück. „Herr Held hat sich entschieden, sein Amt als Bürgermeister und die damit verbundenen Ämter in der Stadt Oppenheim mit Wirkung zum 5. März niederzulegen“, hatte der SWR unter Berufung auf Helds Berliner Anwalt mitgeteilt.
Also: Erst an diesem Montag ist Oppenheim – was im Vorgriff bereits jetzt Schilder am Ortseingang verkünden – wirklich Held-frei.
Gleichwohl soll wieder eine Montags-Demo vorm Rathaus stattfinden, Axel Dahlem lädt erneut ein: Beginn ist wie gewohnt um 18 Uhr. Diesmal dürfte mehr gelacht werden: Man hat schließlich ein erstes Ziel erreicht.
Warum dennoch weiter protestiert werden soll? Ein Leser schrieb in einem Kommentar auf dieser Webseite, wie wir es besser nicht ausdrücken können:
Vielleicht sollten die nun folgenden Montagsdemos die Möglichkeit eröffnen, dass sich Oppenheimer/innen dem sich bereits formierten überparteilichen Bündnis anschließen können, um ein breites Fundament zu errichten, indem vielfältiger politischer, verwaltungstechnischer, juristischer und wirtschaftlicher Sachverstand zusammengeführt wird.
Auf geht’s Oppenheimer!
Leser: Ein Glücksfall! Ein Glückstag für Oppenheim
Der erste Kommentar wurde kurz nach Mitternacht in der Nacht von Freitag auf Samstag auf unserer Webseite veröffentlicht. Und dann kamen weitere Mails an, nachts um drei schrieb einer, andere um fünf, sechs Uhr, um acht Uhr hatten sich mehr als zwanzig Kommentare angesammelt, inzwischen sind’s an die fünfzig:
Unser Bericht darüber, dass sich ein überparteiliches Bündnis auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Bürgermeisterwahl im Juni einigen konnte, hat viele Menschen in Oppenheim elektrisiert. Walter Jertz soll es richten: Der hochdekorierte Generalleutnant a.D. soll die unselige Affären-Ära von Marcus Held vergessen machen, er soll die Stadt aufrichten, der Verwaltung neue Strukturen geben, die Menschen versöhnen, Frieden bringen:
Ein Ende des Oppenheim-Skandals ist endlich in Sicht!
Kleine Auswahl der Stimmen, die sich auf dieser Webseite meldeten:
- Glücklich ist eine Stadt, in der nach einer solchen Katastrophe so schnell ein solcher Bürgermeisterkandidat gefunden werden kann. Glückwunsch an das überparteiliche Bündnis.
- Ein Glückstag für Oppenheim. Die Leistungsfähigkeit demokratischer Bürger der Stadt ist beeindruckend.
- Wir Oppenheimer Bürger können uns nur bedanken bei Walter Jertz für die Bereitschaft, fast Unmögliches zu schaffen, Oppenheim wieder zu befrieden und die maroden Verhältnisse aufzuarbeiten. Dass er überparteiliche Unterstützung hat, lässt hoffen.
- Eine Persönlichkeit wie Jertz hatte schon im Vorschulalter mehr drauf als ein Schaumschläger wie Held zu seinen besten Zeiten, falls er die jemals gehabt haben sollte.
- Ein Glücksfall für Oppenheim. Als Mann mit Führungsqualitäten und -Erfahrung wird Walter Jertz Oppenheim wieder in ruhigere Fahrwasser führen.
- Chapeau! Die Entscheidung für Herrn Jertz und sein Einverständnis zur Kandidatur ist ein Segen für unser Oppenheim!
Es gab auch ein paar negative Stimmen, die wir natürlich ebenfalls veröffentlicht haben. Wenn Sie mehr wissen wollen: Kommentare finden Sie direkt unter jedem Blogbeitrag. Da lesen Sie auch, was der Schriftsteller Frieder Zimmermann zum überparteilichen Kandidaten Walter Jertz schreibt. Kleiner Auszug:
Der neue Bürgermeister muss also nicht nur jede Menge zerschlagenes Porzellan kitten, Gräben zuschütten, Brücken bauen, er muss auch einen gewaltigen Berg abarbeiten. Dazu wird er Kraft, Durchsetzungs- und Stehvermögen, aber auch Unterstützung und Sympathie benötigen. Und das Quäntchen Glück, das auch der Tüchtige braucht, um Erfolg zu haben. Glück auf!
Herr Sadoni, das Militär und der neue Kandidat
Sollen wir’s Ihnen wirklich erzählen? Wir sind eigentlich nicht verpflichtet, jeden Unsinn weiterzugeben – aber gut: Im Zeichen der neuen Oppenheimer Offenheit wollen wir Ihnen auch einen Brief nicht verschweigen, der seit Samstag in der Stadt kursiert und an die „Linken“ in dem überparteilichen Bündnis gerichtet ist. Er fängt schon ziemlich krass an:
„Helm ab zum Gebet? Heute Morgen musste ich kurz überlegen ob ich schlecht träume oder schon wach bin: Ein breites Bündnis will Generalleutnant a.D. Walter Jertz als Bürgermeister. Ausgerechnet Grüne, Ex-Kommunisten und Sozialdemokraten wollen mit dazu aufrufen einen Militaristen zu wählen.“
Michael Sadoni hat den Brief geschrieben, wir ordnen den Mann mal dem Held-Lager zu. Eine Gabriele Sadoni, nach unseren Recherchen seine Ehefrau, sitzt im Vorstand der Oppenheimer SPD, sie ist auch Gesellschafterin der umstrittenen Tourismus GmbH. Kürzlich war sie mit einem Leserbrief in der Lokalzeitung in Erscheinung getreten: Darin beschwerte sie sich nicht etwa darüber, dass Ex-SPD-Landrat Claus Schick beim Neujahrsempfang die Medien-Kritik an Held mit dem Wort „Pogrom“ bezeichnet hatte. Nein, Frau Sadoni – Kindergärtnerin ist sie – mokierte sich darüber, dass ein Redakteur die Beifallsbekundungen des Publikums nach Schicks verbalem Ausfall mit „Johlen“ abgetan habe.
Herr Sadoni schreibt nun, dass Walter Jertz als Militär-Experte in Interviews gesagt habe, er halte militärische Operationen aus humanitären Gründen für legitim und zivile Opfer dabei für unvermeidlich. Herr Sadoni begründet daraus seine Forderung, dass jedenfalls die „Linken“ im überparteilichen Bündnis ihre Unterstützung für Jertz zurückziehen müssten. Er macht nicht einmal der Versuch einer differenzierten Betrachtung – etwa, dass ein Militäreinsatz im Verständnis von Walter Jertz (wie auch im Verständnis des Deutschen Bundestags) überhaupt erst dann in Frage kommt, wenn das politische, diplomatische und wirtschaftliche Instrumentarium der Völkergemeinschaft vollständig und erfolglos ausgeschöpft ist und bedrohten Völkern anders nicht geholfen werden kann. Herr Sadoni versteigt sich vielmehr zu dem Satz: „Man kann Marcus Held möglicherweise viel vorwerfen, aber bei ihm ging es nie um Menschenleben!“
Von der Meinungsfreiheit in diesem unserem Lande ist solches Denken und Reden gedeckt. Das gilt aber auch für die Mutmaßung, dass bei den Sadonis einige Maßstäbe arg verrutscht zu sein scheinen.
Ein zweiter Kandidat bietet schon Sprechstunden an
Auch wenn’s dem einen oder anderen Oppenheimer noch ungewohnt vorkommt: Man darf, so wollen wir’s mal etwas salopp formulieren, in Oppenheim ab sofort wieder ganz offen reden. Jeder darf seine Meinung sagen. Und Haltung zeigen. Das ist, auch wenn nicht jedem alles gefällt, gut so. Weshalb wir hier nicht unterschlagen wollen:
Sven Frank scheint’s ernst zu meinen, will sich wirklich um das Bürgermeisteramt bewerben – als parteiloser, unabhängiger und mit dem Held-System garantiert nicht verbundener Kandidat. Das hat er vor kurzem hier bekannt gegeben; an diesem Wochenende hat der Hypnotherapeut den zweiten Schritt getan: Er hat eine Internetseite online gestellt. „Sven Frank – Der neue Bürgermeister von Oppenheim“ heißt es sehr selbstbewusst gleich auf der Startseite. Meint er es ernst? Oder ist er ein Wichtigtuer? Davon kann sich jeder selbst ein Bild machen: Frank bietet jeden Donnerstag von 16 bis 18 Uhr eine „Alternative Bürgersprechstunde“ in seiner Praxis in der Krämerstraße 30 an.
Rechtzeitig vor dem Urnengang wird Herr Frank allerdings eine wichtige private Entscheidung treffen müssen: Noch wohnt er mit Frau und Kind in Selzen, könnte demnach gar nicht in Oppenheim kandidieren. Er muss schleunigst umziehen…
Die Wende bei der Lokalzeitung – glaubwürdig?
Ulrich Gerecke, der Redaktionsleiter der AZ in Oppenheim, hat einen Kommentar geschrieben. Überschrift. „Stunde der Wendehälse“. Der Text ist eine bitterböse – inhaltlich völlig berechtigte – Abrechnung mit der Clique von Held-Getreuen, die „in atemberaubender Geschwindigkeit von Held-Jüngern zu Held-Kritikastern mutierten“. Die Gerecke-Erkenntnis lautet: Dass die SPD in der Stadt „eine glaubwürdige Rolle spielen wird, kann man sich derzeit kaum vorstellen. Sie hat zu lange mitgemacht und geschwiegen, nun steckt sie in der Sackgasse.“
Eine ganze Reihe von Lesern meldete sich daraufhin bei uns mit dem Hinweis, dass die Redaktion der „Allgemeinen Zeitung Landskrone“ sich doch selbst wie ein Wetterfähnchen im Winde gedreht habe: Früher seien die Redakteure hinter Herrn Held hergelaufen und hätten unwidersprochen alles gedruckt, was er gesagt und geschrieben habe. Selbst als die ersten Vorwürfe gegen den Stadtbürgermeister bekannt geworden waren, habe die AZ davon nichts wissen wollen. Ja, sie habe sich sogar darüber empört, dass ein (oder mehrere) Whistleblower die Schandtaten des Stadtbürgermeisters aufgedeckt hätten.
Tatsächlich schrieb damals genau jener Gerecke von einem „veritablen Gau“ und einem „Erdbeben“: Er meinte nicht die Vorwürfe gegen Held, sondern den Geheimnisverrat. Der war für den Redakteur „eine Katastrophe in Sachen Vertrauen in Politik und Behörden“ – die rechtswidrigen Geschäfte Helds zu Lasten der Stadtkasse hingegen tat er verharmlosend als „Geschmäckle-Vorwürfe“ ab.
Mal abgesehen davon, dass gute Journalisten von Informanten – neudeutsch: Whistleblowern – leben: Die Mühe, den Vorwürfen gegen Held nachzugehen, ersparte sich die Redaktion. Sie druckte stattdessen ausführliche Interviews mit dem Stadtbürgermeister, in denen er seine Unschuld beteuern konnte und unwidersprochen behaupten durfte: „Jemand will mich zerstören“.
Das ist noch gar nicht so lange her, nicht einmal ein Jahr. Nichtsdestotrotz wird die Lokalzeitung heute nicht müde zu versichern, sie habe mit ihrer Berichterstattung maßgeblich zum Sturz des umstrittenen Bürgermeisters beigetragen. Das klingt so, als würde das das frühere SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ heute behaupten, es habe mit einem Bericht über Schablowskis Reisegesetz-Pressekonferenz den Fall der innerdeutschen Mauer bewirkt…
Der AZ-Leser fragen jetzt in ihren Mails: Wie konnte es nur passieren, dass sich eine Zeitungsredaktion über Jahre hinweg von Marcus Held hat derart täuschen lassen? Wieso hat kein Redakteur reagiert, als er Recht und Gesetz brach – gar nicht mal im Geheimen, sondern offen erkennbar und zum Beispiel immer wieder im Stadtrat? Warum hat kein AZ-Redakteur jemals die Tourismus GmbH, den Gradinger-Deal oder das Märchen von der angeblich geplanten Polizei-Inspektion hinterfragt?
Vielleicht, so steht zu vermuten, gab es auch hier zu große Abhängigkeiten, viel zu enge Verbindungen: Der Zeitungsverlag profitierte von Anzeigengeschäften mit Marcus Held, der Chefredakteur vermeldete stolz, als er mit dem SPD-Politiker in eine Weinbruderschaft aufgenommen wurde. Und die Lokalredaktion richtete sich kommod ein: Sie druckte Helds Pressemitteilungen ab und ließ sogar seinen (wirtschaftlich: städtischen) Pressesprecher wohlfeile Berichte über ihn schreiben, die dann wie redaktionelle Beiträge ausgezeichnet wurden.
Mit dieser Art von „Journalismus“ stabilisierte die Zeitung nicht nur konsequent die Machtposition des Stadtbürgermeisters. Sie betrog zugleich ihre eigenen Leser, denen sie die PR-Texte aus dem Rathaus als eigene journalistische Leistung unterjubelte.
Ein ehrlicher Blick in den Spiegel statt mit dem Finger auf andere zu zeigen: Das stünde der AZ gut an. Das wäre allemal glaubwürdiger als die neue Rolle als Oberschiedsrichter:
Gerecke schreibt in seinem Kommentar: Dass die SPD in Oppenheim in absehbarer Zeit eine glaubwürdige Rolle spielen wird, „kann man sich derzeit kaum vorstellen. Sie hat zu lange mitgemacht und geschwiegen, nun steckt sie in der Sackgasse“.
Der Redakteur könnte die drei Buchstaben „SPD“ durch zwei ersetzen: AZ.
Er hätte immer noch Recht.
Ein Held-Zögling hat jetzt Prokura bei der HGO
Zum Abschluss noch ein Thema, bei dem sich die Lokalzeitung mit einer vertiefende Aufarbeitung auszeichnen könnte:
Wir haben ja schon einmal dargestellt, dass mit dem Rückzug von Marcus Held nicht nur bei der Stadtführung ein Loch entsteht. Sondern dass nunn neben vielen Vereinen und Organisationen auch die Wohnungsbauunternehmen GWG und HGO kopflos sind. Bei der gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft GWG war Held Vorstandsvorsitzender, bei der deren Tochter HGO (Haus- und Grundstücksverwaltungsgesellschaft Oppenheim) fungierte er als alleiniger Geschäftsführer.
Leser dieser Webseite machen darauf aufmerksam, dass Held wohl ganz schnell und heimlich neue Pflöcke eingeschlagen hat: Am 20. Februar 2018 wurde ein neuer Prokurist im Handelsregister eingetragen. Sein Name: Marco Meidinger. Oppenheimer kennen ihn: Der erst 29 Jahre alte – und vermutlich absolut unerfahrene – Mann dürfte ein ganz, ganz enger Vertrauter von Held sein:
Meidinger sitzt im Wormser Wahlkreisbüro von Held. Er gehört dem Aufsichtsrat der GWG an. Sein Name findet sich im Kompetenzteam Marcus Held. Und er ist Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Oppenheim, einer SPD-nahestehenden Organisation.
„Warum wurde dieser junge Mann zu diesem Zeitpunkt als Prokurist installiert?“ fragt eine Leserin. Und schreibt weiter: „Mir erscheint es doch sehr seltsam, dass wenige Tage vor dem Rückzug des Herrn Held Marco Meidinger zum Prokuristen der HGO berufen wird! Ein Handlanger, eine Marionette von Herrn Held! Will da jemand ggf. doch indirekt seine Macht behalten?“
In der Tat: Meidinger ist mit der rechtlich weitreichsten Form einer Prokura ausgestattet. Er erhielt Einzelprokura, ist also zur alleinigen Vertretung der HGO berechtigt, kann dabei sogar sog. Insichgeschäfte (also Verträge mit sich selbst) tätigen – und: Die Prokura ist explizit auf Grundstücksgeschäfte erstreckt. Mit anderen Worten: Meidinger kann in gleichem Umfang agieren wie ehedem Held, dessen Rückzug vom Amt des Alleingeschäftsführers von seinem Berliner Medienrechtler in dieser Woche angekündigt worden ist.
Die HGO muss diese Personalrochade ins Mark treffen. Jetzt, da sie massivsten wirtschaftlichen Risiken (namentlich aus dem unglückseligen Gradinger-Deal) ausgesetzt ist, steht sie praktisch führungslos da und ist einem unerfahrenen Statthalter überantwortet, der zu allem Überfluss als Mitglied des Aufsichtsrats der GWG sich mittelbar auch noch selbst beaufsichtigen soll.
Er bedarf ganz augenscheinlich der Anleitung und Führung. Strippen, die sich leicht auch aus Berlin ziehen lassen.
Marcus Held ist mit dem morgigen Montag vielleicht von allen Ämtern zurückgetreten. Das heißt aber offenbar noch lange nicht, dass die Ära Held vorbei ist. Und seine Spuren erschöpfen sich nicht nur – das allein schlimm genug – in Beton, Zement und Leerständen.