Nach Post aus Mainz: Marcus Held sagt Ratssitzung ab

SPD-Stadtbürgermeister Marcus Held hat überraschend und ungewöhnlich kurzfristig eine für den nächsten Mittwoch (13. September) geplante Sitzung des Oppenheimer Stadtrates abgesagt. Als Begründung soll er verlautbart haben, es gebe keine Themen und damit keinen Gesprächsbedarf.

Das dürfte nicht die ganze Wahrheit sein: Der Stadtbürgermeister hat auch unerfreuliche Post aus der Landeshauptstadt Mainz bekommen, die er noch unter Verschluss hält. Danach ist die Bezuschussung der Mehrkosten beim Gradinger-Abbruch (der sollte ursprünglich keine 600.000 Euro kosten, inzwischen wurden über 900.000 Euro ausgegeben) völlig offen.

Mit einer solchen Hiobsbotschaft elf Tage vor der Bundestagswahl am 24. September vor den Oppenheimer Stadtrat zu treten: Das traute sich Held dann doch wohl nicht. Seit Donnerstag, 7. September, steht im Kalender der Verbandsgemeinde Rhein-Selz hinter dem seit Langem geplanten Sitzungstermin des Stadtrates kurz und knapp ein Wort: „entfällt“.

Der Inhalt des Mainzer Schreibens ist dem Stadtbürgermeister seit drei Wochen bekannt. Die Post wurde am 18. August aus dem rheinland-pfälzischen Innenministerium abgeschickt; wenige Tage später lag sie im Rathaus an der Merianstraße wie auch in der Verwaltung der Verbandsgemeinde Rhein-Selz auf dem Tisch. Unterzeichnet worden war der Brief nicht etwa auf der Sachbearbeiterebene, sondern von Randolf Stich: Der Staatssekretär von Innenminister Roger Lewentz teilte in dürren Sätzen mit, dass das Land derzeit nicht sagen könne, ob es sich mit Städtebaufördermitteln an den Abbruch-Mehrkosten beteiligen könne.

Damit rutscht das von Held großspurig angekündigte Projekt mit sozial verträglichen Mietwohnungen am Kautzbrunnenweg in eine immer bedrohlichere Schieflage. Fraglich, ob es überhaupt jemals den versprochenen günstigen Wohnraum geben wird. Das mit sechs bis sieben Millionen Euro bezifferte Neubauvorhaben sei „auf Kante genäht“, hatte Marcus Held bereits vor einiger Zeit eingestanden. Unlängst orakelte er dann von einem „Worst Case“, wenn weitere Kosten anfielen.

Der schlimmste Fall rückt offenbar immer näher: Das Land hat dem SPD-Bundestagsabgeordneten die erbetene Zuschuss-Zusage zu den Abbruch-Mehrkosten erst einmal verweigert. Und wir sprechen nicht von einem bloßen Zwischenbescheid, wie er in der Verwaltungspraxis Gang und Gäbe ist. Die knifflige Angelegenheit ist in Mainz zur Chefsache geworden und wird dort nicht per Ordre du Mufti in Helds Sinne aus der Welt geschafft. Das Innenministerium in Mainz lässt Held zappeln. „Zur abschließenden Prüfung der Förderfähigkeit der entstehenden Mehrkosten müssten weitere Unterlagen vorgelegt werden“, bestätigt ein Sprecher des Innenministeriums.

Das bedeutet im Klartext: Marcus Held kann nicht einfach die Rechnungen des Abbruchunternehmens über mehrere Hunderttausend Euro weiterleiten und erwarten, dass das Land einen Zuschuss zu den Kosten gibt. Erst einmal liegt es in der Verantwortung der Stadt und ihres Bürgermeisters, sagte ein Verwaltungsfachmann, die Finanzierungslücke zu schließen:

Hätte zum Beispiel Grundstücksverkäufer Horst Gradinger – er war ein Freund von Marcus Held, ist inzwischen verstorben – nicht doch auf die Verseuchung seiner Immobilie hinweisen müssen, könnten deshalb vielleicht seine Erben zu einer Teilrückzahlung des Kaufpreises herangezogen werden? Oder könnte man nicht auch von der Firma, die das Schadstoffgutachten erstellt und viele Schadstoffe offenbar übersehen hat, Schadenersatz verlangen?

Und natürlich ist eine Finanzierungsquelle auch das Deckungsgeschäft mit dem privaten Investor (HGO): Dürfen die Risiken des von Held als Immobilienkaufmann (in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der HGO) betriebenen Investitionsvorhabens auf die Allgemeinheit abgewälzt werden?

Das sind sehr komplexe Themen, was ihre Beantwortung wiederum dauern lassen wird. Und das ist fatal für Oppenheim: Denn damit droht die Frage noch lange unbeantwortet zu bleiben, wer den inzwischen fast eine Million Euro teuren Abbruch (Schlussrechnung steht noch aus) bezahlen muss: Was bleibt von den Kosten an der Stadt hängen? Was davon muss die HGO zahlen, die Immobilientochter der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft GWG?

Nicht nur die Stadt, auch diese beiden Firmen werden bekanntlich von Marcus Held geführt. Der SPD-Politiker, dessen selbstgefälliges, oftmals sogar aggressives Auftreten auf immer mehr Menschen verstörend wirkt, hat sich in Oppenheim sehr viel untergeordnet. Zu viel?

Eigentlich, so war es wohl das Kalkül von Marcus Held, sollte das Schreiben aus dem Innenministerium vom 18. August erst einmal „unter der Decke bleiben“, jedenfalls mindestens bis zum 24. September, dem Sonntag der Bundestagswahl. Im Rückspiegel ist deutlich zu erkennen, wie Marcus Held sich alle Mühe gegeben hat, sogar den verantwortlichen Stadtrat über die dramatische Kostensteigerung im Unklaren zu belassen:

Am 15. September letzten Jahres wurde das Unternehmen Witera vom Stadtrat unter dubiosen Umständen der vorangegangenen Ausschreibung (wir berichteten) mit den Abbrucharbeiten beauftragt. Auf 491.827 Euro lautete das Angebot, zuzüglich Mehrwertsteuer, insgesamt also rund 590.000 Euro.

Schon am 26. Oktober 2016 – die eigentlichen Abriss-Arbeiten hatten noch gar nicht begonnen – schickte Witera die erste Nachforderung: Taubenkot war in dem heruntergekommenen Möbelhaus entdeckt worden, angeblich in derart großer Menge, dass die Beseitigung mehr als 6.672,33 Euro kostete. Warum die Hinterlassenschaften des Federviehs bei der Angebotsabgabe nicht gesehen wurden, bleibt ein Rätsel.

Vom 22. März 2017 stammt die dickste Nachtragsrechnung: Zusätzliche 205.394,00 Euro verlangte Witera für „Aussortieren, Aussieben und Entsorgen von belastetem Ziegelbauschutt“.

Die bisher letzte bekannt gewordene Witera-Nachforderung datiert vom 13. April 2017 und lautete über 6.430,25 Euro für die Sanierung eines mit Asbestbruch verfüllten Hohlraums.

Fazit: Bereits Mitte April 2017 wusste Marcus Held definitiv, dass die Abbruchkosten um 302.738,31 Euro teurer als geplant ausfallen würden. Dennoch wartete er vier Monate, bis er am 15. August 2017 die Kostenexplosion gegenüber dem Stadtrat offenbarte. Nicht nur Ratsmitglieder fragen seither: Warum hat der Stadtbürgermeister, der bislang immer wieder Rechnungen mittels (rechtwidrigen) Eilentscheidungen freizugeben pflegte, diese fetten Mehrkosten-Rechnungen im Fall Gradinger so lange zurückgehalten? Warum hat er sie nicht umgehend dem Stadtrat vorgelegt?

Was steckt wirklich dahinter?

In der Chronologie finden wir Hinweise, die Antworten geben können:

Mitte April lagen, wie aufgezeigt, die zusätzlichen Rechnungen der Abbruchfirma vor.

Am 19. Mai 2017 schickte die Stadt Oppenheim – das war bisher noch nicht bekannt – einen Bettel-Brief an die zuständige Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier: Das Land möge sich doch bitte auch an den Mehrkosten beim Gradinger-Abbruch mit einem Zuschuss beteiligen.

Das Schreiben wurde von Trier weitergereicht an das Innenministerium; es ließ sich im üblichen Verwaltungsgang ganz offensichtlich nicht beantworten. In Mainz reagierte man erst einmal abwartend. Und ließ Held hängen – eine ganz neue Erfahrung für den Bundestagsabgeordneten, von dem selbst Parteifreunde sagen, dass er bisweilen äußerst ungehalten und unangenehm reagiere, wenn man ihm nicht gleich pariere.

Am 13. Juni 2017 tagte in Oppenheim der Stadtrat. In dieser Sitzung hätte der SPD-Stadtbürgermeister die Kosten-Explosion beim Gradinger-Projekt bekanntgeben können, vielleicht sogar bekanntgeben müssen. Die Zahlen lagen ihm ja bereits seit zwei Monaten im Detail vor. Aber Marcus Held sagte kein Wort. Er wartete wohl auf eine positive Zusage aus Mainz: Dann wäre die Verkündung der Kostensteigerung vielleicht erträglicher gewesen.

Weitere zwei Monate vergingen. Nichts geschah. Mainz meldete sich einfach nicht.

Am 15. August 2017, nunmehr vier Monate nach der letzten Witera-Rechnung, musste Marcus Held dem Rathaus-Parlament dann doch endlich reinen Wein einschenken: Er gab bekannt, dass die Abbruchkosten auf über 900.000 Euro angestiegen seien. Was blieb ihm auch anderes übrig? Die Rechnungen mussten schließlich bezahlt werden. Auch den Ratsmitgliedern blieb keine Wahl: Sie genehmigten die Mehrausgaben.

Hat Marcus Held zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass Mainz die von ihm erhoffte Zuschuss-Zusage nicht einfach geben würde? Üblicherweise informiert ein Ministerium vorab über schlechte Nachrichten.

Am 18. August, nur drei Tage nach der Ratssitzung, wurde der Brief in Mainz abgeschickt…

In der Ratssitzung am 15. August hatte Held noch so getan, als würde trotz der Kosten-Explosion keine zusätzliche finanzielle Belastung auf die Stadt zukommen: Die Abrisskosten würde sich die Stadt fifty-fifty mit der HGO teilen, zitierte ihn die Allgemeine Zeitung, „und den kommunalen Anteil bezahlt das Land über Zuschusszusagen“. Zweifel klingen anders; man kalkuliere, gab Held markig zu Protokoll, vorerst weiter mit der geltenden 50-Prozent-Zusage.

An dieser Stelle wird’s endgültig merkwürdig: Denn im Innenministerium hieß es, dass es gar keine 50-Prozent-Zusage gibt, von der Held immer wieder erzählt. Von den ursprünglich angegebenen Kosten sei nur die Hälfte „als zuwendungsfähig anerkannt“ worden, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums. Und diese zuwendungsfähigen Kosten würden lediglich „in Höhe von 80% gefördert“.

Zur Dokumentation die Frage/Antwort im Wortlaut:

Ist es richtig, dass das Land die Hälfte der ursprünglich veranschlagten Gradinger-Abbruchkosten zu zahlen bereit ist?

Auf diese Frage antwortete das Innenministerium wie folgt:

 Mit Bewilligungsbescheid vom 15. September 2015 wurden für die Ordnungsmaßnahme (Freilegung von Grundstücken) unter Berücksichtigung von Gesamtkosten in Höhe von rd. 750.000,– € (brutto) Kosten in Höhe von 375.000,– € als zuwendungsfähig anerkannt. Diese werden in Höhe von 80 % gefördert.

Nach dieser Aussage des Innenministeriums kann die Stadt Oppenheim als Zuschuss zum Gradinger-Abriss mit 80 Prozent von 375.000 Euro rechnen. Also mit maximal 300.000 Euro. Und nicht mit einem Cent mehr.

Derzeit belaufen sich die echten Abbruchkosten vor Schlussrechnung auf über 900.000 Euro. Und damit stellen sich drängende Fragen: Was passiert mit den verbleibenden 600.000 Euro? Kann es vom Land überhaupt einen weiteren Zuschuss geben? Wenn ja, wie hoch wird der ausfallen? Und kann die HGO die Deckungslücke stemmen? Ist dafür überhaupt vertraglich (in der nicht vorgelegten Absprache zwischen Stadt und HGO) Sorge getragen? Und kann die HGO dann eines Tages auch noch die versprochenen sozial verträglichen Wohnungen bauen?

Zu all diesen Fragen hätte man Stadtbürgermeister Marcus Held gern gehört, seine klärenden Worte wären dringend notwendig gewesen, der 13. September war sicher ein passender, ja ein sogar gebotener Termin, trotz anstehender Bundestagswahl.

Marcus Held aber hat, in gewohnter Gutsherrenart, den Termin einfach kurzfristig gecancelt. Die nächste Stadtratssitzung ist erst wieder für Dezember vorgesehen.

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Natürlich hätten wir, wie allgemein üblich, zu den vorliegenden Informationen auch eine Stellungnahme des Stadtbürgermeisters veröffentlicht. Doch der hat bekanntlich mitgeteilt, dass er mit dem Autor dieser Webseite nicht mehr spricht.

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