LRH 9: Jeder Festspiele-Besucher wird großzügig alimentiert

Wir haben uns schon einmal mit dem Thema Veranstaltungen befasst: „Brot und Spiele“ hatten wir geschrieben – Hunderttausende gibt die Stadt Oppenheim für Festivitäten aus, das erinnert ein wenig an das alte Rom, wo die Herrscher dem gemeinen Volk im großen Stil Lust und Vergnügen bereiteten, für lau natürlich, im Gegenzug wollten sie geliebt und natürlich auch gewählt werden.

Das wahre Highlight der zum großen Teil auf Steuerzahlers Kosten inszenierten Oppenheimer Vergnügungsshows haben wir uns für das heutige Türchen unseres Adventskalenders aufgespart: die Oppenheimer Theaterfestspiele. Sie sind der Stolz der Stadtoberen, in ihrem kulturellen Glanz wähnen sie sich selbst auf großer Bühne, aber ach: Wenn wir lesen, was Stadtbürgermeister Marcus Held und sein Festspielleiter Hansjürgen Bodderas (genau, den hatten wir hier schon) verbreiten, was da geboten wird, dann mutet’s eher nach kleinbürgerlichem Spektakel an:

Einen bunten Blumenstrauß aus Literatur, Kinder- und Jugendtheater, Kino, Kleinkunst, klassischer Musik, rheinhessischem Musik-Kabarett und Chanson“ versprechen sie auf ihrer Homepage. Mögen die Spielstätten, wie sie gerne schwadronieren, Geschichte atmen: Ein solcher Blumenstrauß verbreitet in weiten Teilen doch eher den Odeur von Dorfgemeinschaftsfest mit Laienspielschar, zu dem Herr Bürgermeister höchstselbst erlaubt einzuladen, die Vergabe von Ehrenkarten inklusive, der Platz in der ersten Reihe ist ihm gewiss.

Die Hochzeit der Festspiele Oppenheim unter ihrem Initiator, dem Schauspieler und Regisseur Rolf Hartmann, ist freilich längst Geschichte. In der Zeit seiner künstlerischen Leitung (1989 bis 2004) erlangten die Festspiele Beachtung und Geltung in der Kulturszene. Geblieben ist nach der skandalträchtigen Ablösung des späteren künstlerischen Leiters Peter Grosz (wegen dessen Verbindung zum früheren rumänischen Geheimdienst Securitate) ab dem Jahr 2010 eine mit Bordmitteln – nämlich unter der Stabführung von Hansjürgen Bodderas – organisierte abgespeckte Version. Nur noch das Engagement der Bremer Shakespeare Company (dem Kooperationspartner Rolf Hartmanns) erinnert an früheres Niveau. Inzwischen sind die Festspiele eher ein Forum für Laientheater und Filmfest geworden.

Macht aber gar nichts, auch ein solches Theaterfest ist grundsätzlich überhaupt keine schlechte Sache, ganz im Gegenteil, nur muss man es nicht zum Olymp der Kunst überhöhen, und die Verantwortlichen sollten sicher auch dafür Sorge tragen, dass der pekuniäre Rahmen nicht das Original eines Meisters vermuten lässt, wenn es sich in Wahrheit nur um einen simplen Poster-Druck handelt:

Natürlich gibt’s den Spaß nicht umsonst. Aber auch hier greift die Stadt wieder ganz tief in die eigene Tasche, als wäre man Krösus persönlich, dabei ist in der Tasche doch längst nichts mehr drin, man muss sich die Penunzen längst von den Banken borgen:

300.372 Euro gab die Stadt in den Jahren 2013 bis 2015 für die Festspiele aus, und die Experten aus Speyer schreiben gleich dabei, dass ihre Auflistung „keinen Anspruch auf Vollständigkeit“ erhebe, weil die einzelnen Kosten „zum Teil nur unvollständig oder verstreut über eine Vielzahl von Produkten und Konten verbucht wurde“. Haushalt à la Marcus Held, vielleicht vermeint er, solch buchhalterische Kreativität mit künstlerischer Freiheit schönreden zu können, vielleicht will er allerdings nur etwas verschleiern, aus welchem Grund auch immer, bei ihm weiß man bekanntlich nie.

Der Stadtbürgermeister hält den aus seiner Sicht wohl kleingeistigen Sparfüchsen aus Speyer in seiner Stellungnahme vor, 181.021 Euro seien im gleichen Zeitraum für die Theaterspiele eingenommen worden – Zuschüsse vom Land (90.000 Euro) und vom Kreis Mainz-Bingen (7.500 Euro), Spenden- und Sponsorengelder (42.347 Euro) und nicht zuletzt Eintrittsgelder (41.174 Euro).

Soll wohl heißen: Die Stadt zahlte „nur“ 119.351 Euro dazu. Eine solche Ausgabe wäre in einem blühenden Gemeinwesen tatsächlich nur ein Klacks. In einer überschuldeten Kleinstadt hingegen kommt sie gewissenloser Verschwendung gleich.

Helds Rechnung ist zugleich entlarvend: Von den 300.000 Euro Kosten in drei Jahren wurden also gerade mal 41.164 Euro von den Zuschauern bezahlt. Das heißt, dass jeder einzelne Euro, den die Besucher zahlten, mit sechs Euro alimentiert wurde, im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln. Da muss man schon tief in die Ideen-Kiste greifen, um das noch begründen zu können. Marcus Held ist, ganz weit unten, fündig geworden:

„Bezüglich des kulturellen Bereichs entstehen externe Effekte neben der Erbringung kultureller Leistungen. Ein wesentlicher beabsichtigter Nebeneffekt der Kultur ist die Steigerung der lokalen Attraktivität in und um Oppenheim. Touristen, die durch das kulturelle Angebot einer Stadt angelockt werden, geben nicht nur Geld für Eintrittskarten aus, sondern bescheren komplementären Branchen wie etwa dem Tourismus, dem Gaststätten- und Hotelgewerbe, zusätzliche Einnahmen.“

Solches Held-Sprech dürfen wir getrost abtun als verbalen Nonsens: Aufgeblasene Wortgebilde („externe Effekte“, „wesentlicher beabsichtigter Nebeneffekt“, „komplementäre Branchen“) sollen wohl Eindruck schinden. Sie entlarven sich schnell als leer und hohl , wenn wir uns nur Helds Rechnungen ein wenig genauer anschauen:

Im Jahr 2013 wurden 19.830 Euro an Eintrittsgeldern eingenommen, in den Jahren 2015 wie 2014 nur noch 10.484 und 10.860 Euro. Bei Ticketpreisen von im Schnitt 15 Euro kamen zu den Oppenheimer Theaterfestspielen im Jahr 2013 also gut 1300 zahlende Besucher, in den beiden Jahren gerade mal noch die Hälfte.

Also entweder bleiben die Oppenheimer und die Freunde des heimischen Theaterspiels aus der Umgebung diesem kulturellen Ereignis kollektiv fern – oder die Zahl der Touristen hält sich in äußerst überschaubarem, also wirklich nur sehr kleinem Rahmen.

Die Rechnungsprüfer, die den hochgeistigen Genuss dieser Festspiele erahnen, aber auch und vor allem das tiefe Loch in der Stadtkasse kennen, merken – wohl wissend um die Befindlichkeit der lokalen Kulturfreunde – an, dass der Aufwand der Stadt einen Umfang aufweise, „der erhebliche Aufwandsminderungen ohne völligen Verzicht auf identitätsstiftende und tourismusfördernde örtlichen Veranstaltungen ermöglicht“.

Das ist sehr fein und anständig formuliert. Das Schlusswort der Finanzexperten aus Speyer unter diesem Kapitel  ist dennoch unmissverständlich formuliert: Angesichts der desolaten Finanzlage der Stadt sollte der Umfang der tatsächlichen Aufwendungen zunächst vollständig erfasst werden. Und dann sei dafür sorgen, dass er vermindert wird.

Marcus Held, der Hunderttausende rechtswidrig hinterm Rücken des gewählten Bürgervertreter ausgegeben hat, will sich eine solch schwerwiegende Entscheidung nicht allein aufbürden: Er werde den Stadtrat um eine Entscheidung bitten, so schrieb er an den Rechnungshof, „ob eine Fortführung im bisherigen Maße erwünscht ist“.

Beobachter der lokalen Polit-Szene ahnen, was das zu bedeuten hat: Der Stadtbürgermeister („Kulturförderung ist politisch gewollt“) wird das Thema im Rathaus-Parlament vortragen. Und dann wird er alle Sparvorschläge, die zu machen er natürlich der kleinen Opposition überlässt, mit ätzenden Hinweisen auf die Zerstörung wertvollen Kulturguts kommentieren.

Am Ende lässt er abstimmen – und seine SPD wird die Festspiele retten. Es soll weiterhin „Brot und Spiele“ fürs Volk geben: Marcus Held sei’s gedankt!

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