Jertz: „Jetzt möchte ich an die Arbeit gehen!“

Um 19 Uhr an diesem Donnerstag fing die Sitzung des Stadtrates an – um 19.08 Uhr schon wurde er vereidigt: Walter Jertz (73) wurde soeben in einer Sitzung des Stadtrates zum neuen Stadtbürgermeister von Oppenheim ernannt. Die Weichen für einen politischen Neustart in der rheinhessischen Stadt sind damit gestellt. 

In einer ersten Rede vor dem Stadtparlament bedankte sich Jertz „für das überwältigende Zeichen des Vertrauens“. Der ehemalige Generalleutnant der Luftwaffe, der seine Kindheit und Jugendzeit in Oppenheim verbracht hatte und 2006, nach Eintritt in den Ruhestand, in seine Heimatstadt zurückgekehrt war, war Anfang Juni gewählt worden – mit 84,6 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Walter Jertz bei seiner ersten Rede im Stadtrat.

Jertz sagte in seiner Ansprache, dass die Stadt unter seinem langjährigen Vorgänger Marcus Held (er nannte den Namen des SPD-Politikers nicht, er sprach nur vom „ehemaligen Bürgermeister“) in eine dramatische Schieflage abgerutscht sei, was in nächster Zeit zu schmerzhaften Einschränkungen führen werde. Er warb um Verständnis, dass es Einschnitte geben müsse; zugleich versprach er, sie möglichst sozialverträglich gestalten zu wollen.

Einen dringenden Appell richtete er an den Stadtrat: Man möge ihn, den parteilosen Bürgermeister, bei der Arbeit unterstützen. „Nicht Parteienproporz oder zentriertes Parteiendenken“ dürften nunmehr die Richtschnur des Handelns sein, „sondern einzig und allein das, was unserer Stadt dient“.

Wenn das umgesetzt wird, wäre das ein echter Paradigmenwechsel in der Polit-Kultur des rheinhessischen Städtchens. Wo vorher der SPD-Politiker Marcus Held, der noch immer für seine Partei im Deutschen Bundestag sitzt, in einer Art Willkürherrschaft über die Stadtgesellschaft geherrscht hat, oftmals ohne Beachtung von geltenden Gesetzen und Vorschriften, da sollen künftig Recht und Ordnung wieder Einzug halten. Mehr noch: In Zukunft sollen offene Arbeitsgruppen Ideen und Vorschläge zur Stadtentwicklung entwerfen und aktiv in die Entscheidungsprozesse einbringen. Jertz rief die Bürger dazu auf, sich dort wie auch in Vereinen, Initiativen und Interessengruppen für Oppenheim zu engagieren.  „Politik lebt von Vielfalt! Seien Sie ein Teil davon.“

Ebling und Fischer sind neue Beigeordnete

Weitere wichtige Personalentscheidungen wurden vom Stadtrat mehrheitlich beschlossen:

Erster Beigeordneter ist künftig Rainer Ebling. Der aktive AL-Lokalpolitiker, lange Jahre beim ZDF beschäftigt, wurde von den 14 anwesenden Ratsmitgliedern mit neun Ja- und zwei Nein-Stimmen gewählt.

Zweiter Beigeordneter ist nun Dieter Fischer (7 ja, 4 nein). Der 72-Jährige gilt als Fachmann für Verwaltungs- und Personalangelegenheiten, ist als Lehrbeauftragter an der Hochschule Polizei und Verwaltung in Hessen tätig und als Dozent in ganz Deutschland unterwegs.

Helmut Krethe war bislang zweiter Beigeordneter mit dem Geschäftsbereich Tourismus. Der frühere CDU-Chef ist vor Monaten in das Marcus-Held-Lager übergelaufen, hat dann als Interims-Rathauschef öffentlich gegen Walter Jertz intrigiert. Dafür bekam er jetzt die Quittung: Als Beigeordneter kam er auf Platz 3 – und das auch noch ohne Geschäftsbereich.

Walter Jertz schloss mit den Worten: „Jetzt möchte ich an die Arbeit gehen!“ Den vollständigen Text seiner Rede  dokumentieren wir im Wortlaut:

Sehr geehrte Ratsmitglieder, meine sehr geehrten Damen und Herren,

mit Ablegen des Amtseides vor Ihren Augen und in Ihrem Beisein unterstreiche ich meine Bereitschaft, zum Wohlergehen und zur Weiterentwicklung unserer schönen Heimatstadt Oppenheim meinen Beitrag zu leisten.

Oppenheim ist in den vergangenen Monaten mehr als einmal in die negativen Schlagzeilen gekommen. Dies darf und kann so nicht weitergehen und ich werde alles daran setzen, dass sich das auch ändern wird.

Bevor ich zu einigen programmatischen Punkten Stellung beziehe, ist es mir ein Anliegen, den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Oppenheim zu danken, dass sie mir mit dem Votum von 84,6 % bei der Urwahl am 3.Juni 2018 ein überwältigendes Zeichen des Vertrauens gegeben haben.

Dafür danke ich Ihnen.

Walter Jertz, der neue Stadtbürgermeister von Oppenheim
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Ich danke allen Männern und Frauen des „Aktionsbündnisses“ und meines Wahlkampfteams, dass sie mich in den letzten Monaten so vorbehaltlos und vor allem so uneigennützig unterstützt haben.

Mein Dank gilt an dieser Stelle auch Herrn Helmut Krethe, der in den schwierigen Zeiten nach der Amtsniederlegung des bisherigen Stadtbürgermeisters die Geschicke der Stadt Oppenheim in die Hände genommen hat.

Am 30. Juni 2018 werden gemäß Stadtratsbeschluss die bisherigen Beauftragten ihre Tätigkeit beenden. Die Herren Bernd Weiß (Bürgerbeauftragter), Marc Sittig (Umweltbeauftragter) und Rüdiger Spangenberg (Beauftragter für Städtepartnerschaften) haben in den vergangen Jahren sehr gute Arbeit als Beauftragte geleistet. Dafür gebühren ihnen mein Dank und meine Anerkennung.

Mein weiterer Dank gilt der Verbandsgemeinde Rhein-Selz, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie den Damen und Herren der Kommunalaufsicht, die Signale gegeben haben, dass sie die besondere Situation, in der sich die Stadt Oppenheim befindet, anerkennen und würdigen.

Klar ist, Oppenheim muss sparen. Und wir werden gemeinsame Anstrengungen unternehmen müssen, um die finanzielle Schieflage, die sich dramatisch in der Ära des ehemaligen Bürgermeisters entwickelt hat, in den Griff zu bekommen. Das bedeutet, es wird meine Aufgabe sein, auch schmerzhafte Einschränkungen zu verkünden. Ein Weiter so kann und darf es nicht geben.

Und deshalb bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger schon heute um Verständnis, dass es diese Einschnitte geben wird. Zugleich aber verspreche ich, dass ich alle Möglichkeiten ausloten werde, um die Folgen sozialverträglich – wo immer möglich – abzufedern.

Ich will heute nicht zu sehr ins Detail gehen, dafür liegen bereits schon jetzt einige gewichtige Punkte in meinem Arbeitskorb, die es im Rahmen der heutigen Stadtratssitzung abzuarbeiten gilt.

Das bringt mich zu dem Punkt Stadtrat. Als parteiloser Bürgermeister bin ich auf die Unterstützung des Stadtrates angewiesen. Sie, liebe Stadträtinnen und Stadträte, sind die Vertreter der Bürger – wie auch ich, in Urwahl gewählt, den Bürgerinnen und Bürgern verantwortlich bin.

Lassen Sie uns gemeinsam Wege erarbeiten zum Wohl unserer Stadt. Sie, die Stadträte, haben die Möglichkeit, mich zu unterstützen. Dies natürlich erst nach Austausch aller Argumente und natürlich nach bestem Wissen und Gewissen. Gleiches gilt für die Ausschussmitglieder und alle weiteren Gremien, die bereit sind, mir mit Rat und hoffentlich auch Tat zur Seite zu stehen.

Nicht Parteienproporz oder zentriertes Parteiendenken müssen die Richtschnur unseres Handelns sein, einzig und allein das, was unserer Stadt dient, muss uns wichtig sein.

Unterstützen Sie mich dabei.

Auch den hier anwesenden Bürgerinnen und Bürgern möchte ich versichern, dass das, was sie mir im Verlauf der vier Bürgerforen an Themen mitgegeben haben, nicht vergessen ist.

Gemeinsam haben wir uns in den Montagsdemonstrationen dafür eingesetzt, dass sich in unserer Stadt Grundlegendes ändert. Dies haben wir mit der Amtsniederlegung des Stadtbürgermeisters erreicht.

Der Gemeinsinn hat einen neuen Schub bekommen, wir fühlen uns füreinander und für unsere Stadt verantwortlich und können uns nach unseren Möglichkeiten einbringen.

Ich habe viel Zuspruch und Unterstützung erfahren, was mich in meinem Weg hin zum Bürgermeister bestärkt hat. Dieses gewachsene Miteinander soll auch für mich als Bürgermeister unbedingt so bleiben.

Gleichzeitig gibt es aber auch den Ordnungsrahmen des Stadtrates und seiner Gremien, innerhalb dessen wir uns bewegen. In diesen tragen gewählte Bürger unserer Stadt Verantwortung für das Zusammenleben und die Gestaltung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Dies ist für mich ein hohes Gut, das ich gerne stärken und weiterentwickeln möchte.

Das Umsetzen weitreichender Ideen wird eine Zeit in Anspruch nehmen, aber die Anregungen sind nicht vergessen. Zurzeit werden alle Themen in einem Arbeitskatalog zusammengefasst und auf ihre Umsetzbarkeit hin geprüft. Um eine Rückkopplung der Arbeit des Bürgermeisters und des Stadtrates in den nächsten Wochen und Monaten zu ermöglichen, planen wir die Einrichtung von Arbeitsgruppen.

Diese Arbeitsgruppen, die ich inhaltlich nachher noch einmal kurz skizzieren werde, werden in der nächsten Stadtratssitzung im August 2018 den Stadträten thematisch und „in persona“ vorgestellt werden. Das Ergebnis ihrer Arbeit wird dann in Folge dem Stadtrat vorgestellt, und der Stadtrat wird dann entscheiden, ob diese Ergebnisse in die Ausschüsse verwiesen werden oder ob die Stadträte schon die Entscheidungsrelevanz sehen, so dass die weiterführenden Schritte abgestimmt oder zumindest eingeleitet werden können.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, bitte nehmen Sie an den öffentlichen Stadtrats- und Ausschusssitzungen teil. Sie bleiben damit nah am Geschehen und können sich grundlegend informieren.

Bleiben Sie mit mir und mit allen gewählten Mandats- und Amtsträgern in engem Kontakt oder kommen Sie bei Bedarf auf uns zu. Wir alle stehen für konstruktive Anregungen, Fragen, Ideen jederzeit zur Verfügung

Engagieren Sie sich bitte weiterhin in den aus dem Bürgerforum hervorgegangenen Arbeitsgruppen, aber auch in unseren Vereinen, Initiativen, Interessensgruppen und gestalten Sie somit unser Leben vor Ort aktiv mit.

Ich persönlich stehe auch weiterhin für aktive Bürgerbeteiligung. Ich lade deshalb alle Bürger herzlich ein, auch nach dem heutigen Tag die Entwicklung der Stadt weiter zu begleiten und zu gestalten.

Im Sommer 2019 wird ein neuer Stadtrat gewählt. Mit dieser Wahl haben wir alle/haben Sie die Chance, die politische Landschaft in Oppenheim aktiv mitzugestalten und mit neuen Ideen zu bereichern.

Ich ermuntere Sie deshalb ausdrücklich, sich zu überlegen, ob und wie Sie sich kommunalpolitisch einbringen wollen.

Gehen Sie auf die unterschiedlichen politischen Gruppierungen zu und prüfen Sie, wo Sie Ihre Ideen und Vorstellungen einbringen können.

Darüber hinaus lade ich Sie natürlich ein, mit Ihren Anliegen in die Bürgersprechstunde zu kommen.

Politik lebt von Vielfalt! Seien Sie ein Teil davon.

Als gewählter erster Bürger der Stadt Oppenheim möchte ich ein lebendiges konstruktives Miteinander der Bürger untereinander und zwischen Bürgern und Mandatsträgern. Dafür werde ich eintreten und dies mit den beschriebenen Maßnahmen versuchen zu stärken.

Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen zum Wohle unserer Stadt, für Mein, für Dein, für Unser Oppenheim.

Ich möchte erreichen, dass die Bürger von Oppenheim wieder stolz auf ihre Stadt sind, die so vieles zu bieten hat.

Lassen Sie mich zum Schluss noch meinen Dank an meine Frau aussprechen. Sie hat mich ermutigt, den Schritt in das fast unbekannte Geschäft eines Kommunalpolitikers zu wagen. Ohne ihre Unterstützung hätte ich dies nicht getan.

Ich würde mich freuen, wenn Sie am Ende der heutigen Stadtratssitzung noch ein wenig im Foyer unseres Rathauses verweilen, um bei einem Glas Wein (nicht aus der Stadtkasse bezahlt) sich noch ein bisschen auszutauschen.

Jetzt möchte ich an die Arbeit gehen!

7 Kommentare zu „Jertz: „Jetzt möchte ich an die Arbeit gehen!““

  1. Wir haben als CDU Oppenheim bereits im Aktionsbündnis unsere Unterstützung zugesichert. Daran halten wir uns auch. Möge in Oppenheim nie wieder ein solcher Filz (egal welcher Couleur) und eine solche Spaltung bestehen. Dafür setzen wir uns ein. Insbesondere, da die altgedienten Seilschaften sich so unverhohlen sammeln und auf ein Vergessen der Wähler hoffen, um nach der nächsten Wahl den roten Faden wieder aufzunehmen.

  2. Henriette Degünther

    s. vorangegangene Mail
    Leider haben wir durch die alten Verantwortlichen wie Herrn Sittig besonders viel Arbeit. Ich grolle deshalb.
    Aber was können wir machen als abarbeiten ….
    Besonderen Dank an Herrn Jertz, der die Mölglichkeit eines Neubeginns eröffnet.

    Henriette Degünther, verantwortlich für das „Paradies“ u.ä. und das Grünkonzept für Oppenheim.

  3. Eine sehr sympathische und auch sehr glaubhafte Antrittsrede. Für Herrn Jertz die besten Wünsche und viel Erfolg bei dieser großen Herausforderung.

    Zwei Sätze sollte sich alle besonders merken:

    * Nicht Parteienproporz oder zentriertes Parteiendenken müssen die Richtschnur unseres Handelns sein, einzig und allein das, was unserer Stadt dient, muss uns wichtig sein.
    * Im Sommer 2019 wird ein neuer Stadtrat gewählt. Mit dieser Wahl haben wir alle/haben Sie die Chance, die politische Landschaft in Oppenheim aktiv mitzugestalten und mit neuen Ideen zu bereichern.

    Ich hoffe, dass viele Bürger und Wähler genau darauf schauen, wer und wie Herr Jertz bei seiner Arbeit unterstützt wird, wer welche Ziele verfolgt und wer sich ggf. noch von den alten Seilschaften beeinflußen lässt. Die Stadträte, Parteien und sonstige Gremien sollen Werbung durch ihre Arbeit machen, denn das zählt mehr als Plakate und Sprüche unmittelbar vor der Wahl.

  4. Ich wünsche Herrn Jertz viel Erfolg!

    Einen hat er bei seinen Danksagungen vergessen: Axel Dahlem, der mit großem persönlichen Mut und Einsatz den Protest auf die Straße gebracht hat. Ohne die Demonstrationen würden wir vielleicht immer noch im Internet vor uns hingrummeln, ohne dass sich etwas geändert hätte. Wenn in Oppenheim der Bürger des Jahres 2018 gesucht werden sollte, gibt es aus meiner Sicht nur eine Wahl: Axel Dahlem.

  5. Herr Pfau, sie haben vollkommen recht. Dieser Filz, bzw. das „rote Netzwerk“ entstand ja nicht innerhalb einer kurzen Zeitspanne, sondern es benötigte mit Sicherheit Jahre bis es „etabliert“ war und „arbeiten“ konnte. Zur Zeit ist das Netzwerk noch recht aktiv (hinter den Kulissen – im Untergrund). Diesen Sumpf trocken zu legen bedarf einer großen Zeitspanne. Nur: Ich befürchte, dass durch eine zu lange Zeitspanne diese „Methoden“ beim Wahlvolk in die Vergesslichkeit getrieben werden und exakt die Personen in ein paar Jahren wieder politischen Einfluss haben werden, welche im Netzwerk aktiv mitarbeiten. Zumindest ist nun ein Neuanfang gemacht. Wir können nur hoffen, dass diese miesen Machenschaften lange im Gedächtnis der Wähler/innen bleiben. Und dafür müssen u. a. auch Sie sorgen.

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