Es war einer der bizarrsten Auftritte des Oppenheimer Stadtbürgermeisters seit langem: Am Tag vor Weihnachten drehte Marcus Held in der Katharinenkirche ein Video von sich selbst und veröffentlichte es im Internet. Jetzt steht fest: Die Kirchengemeinde hat davon nichts gewusst. Die Pastorin spricht von einer Grenzüberschreitung, sogar von Übergriffigkeit. Der Dekan hat Held angeschrieben. Der Kirchenvorstand will reagieren.
Es war an Heiligabend, am frühen Nachmittag, ein Familiengottesdienst sollte bald in Oppenheims großer Kathedrale beginnen. Da wurde Marcus Held gesehen, wie er in Begleitung seiner Ehefrau das noch menschenleere Gotteshaus betrat.
Suchte das Ehepaar am Ende der aufregenden Vorweihnachtszeit ein paar Minuten der geistigen Ruhe? Verlangte es den umtriebigen SPD-Politiker am Vortag des Weihnachtsfestes nach einer Gelegenheit zu inneren Einkehr?
Nein. Marcus Held ging schnurstracks in Richtung Altarraum, stellte sich vor das Taufbecken, befestigte ein Mikrofon an den linken Kragen seines Jacketts – und dann begann er, während im Hintergrund auf der erleuchteten Empore eine Organistin feierliche Musik intonierte, eine Rede zu halten. Seine Kamera zeichnete alles auf: Er wolle „Danke sagen für die Begleitung in diesem Jahr“, sagte der Stadtbürgermeister, es sei kein einfaches gewesen, „auch für mich persönlich kein ganz leichtes“, weshalb umso wichtiger sei, dass man jetzt zusammenstehe „und gerade an Weihnachten die Solidarität und den Zusammenhalt in den Mittelpunkt stellt“… usw. usf.
Wenig später, exakt um 14.43 Uhr, veröffentlichte Held das Video im Internet auf seiner Facebook-Seite. Er löste damit blankes Entsetzen aus: Dass der umstrittene SPD-Mann das Gotteshaus zu seiner eigenen Selbstdarstellung missbraucht hatte, empörte viele Oppenheimer. Öffentlich äußern sie seither ihr Unverständnis darüber, dass die Kirchengemeinde es zugelassen habe, dass ein Stadtbürgermeister, gegen den seit Monaten die Staatsanwaltschaft ermittelt, jetzt auch noch „ihre Kathedrale“ instrumentalisieren könne – für seine Polit-Propaganda, auch wenn er sie diesmal in salbungsvolle Worte verpackt hatte
In Kommentaren im Internet – auch auf dieser Webseite – spiegelt sich tiefe Verärgerung, ja auch Abscheu wider. Einer schrieb: „Helds neuestes Facebook-Video macht beinahe sprachlos, ob seiner impertinenten Dreistigkeit, seine politischen ,Botschaften’ nunmehr pseudochristlich zu verpacken. Sogar aus der Katharinenkirche zu Oppenheim zu senden!“
Ein anderer schrieb: „Der ,Gott Held’ kennt weder Demut, Bescheidenheit oder gar Einsicht.“
Ein dritter: „Einfach nur erschreckend, dass dieser Selbstdarsteller noch nicht einmal vor der Kirche halt macht!“
Und noch ein Kommentar: „Ich frage mich, was die Kirchenoberen zu diesem ,Kirchenasyl’ sagen. Was sagt der Kirchenvorstand zu diesem Missbrauch, was die Pfarrerin?“
Tatsächlich war genau das der Verdacht: Dass Marcus Held – natürlich! – auch die Kirchengemeinde im Griff habe, und dass die ihm eine Dreh-Erlaubnis erteilt habe. Denn, so das allgemeingültige Empfinden und Taktgefühl, kein Politiker geht heimlich in ein Gotteshaus und zeichnet dort ohne eine Erlaubnis eine Rede auf, auch noch ganz vorne, am Altarraum. Die Kirchenleitung müsse, so glaubten viele Oppenheimer, dem wohl zugestimmt haben…
Wir haben mit Manuela Rimbach-Sator, Pfarrerin an St. Katharinen, darüber gesprochen. Wir wollten von ihr wissen, ob – und wenn ja: warum – sie diese provokant-politische Selbst-Inszenierung an einem Ort des Glaubens und des Gebets gestattet habe.
Wir erlebten eine Frau, die von dem Oppenheimer Stadtbürgermeister regelrecht entsetzt ist. Die sogar sagt, sie fühle sich durch das Verhalten von Marcus Held brüskiert und beleidigt, „weil er die Kirche benutzt hat, weil er damit übergriffig geworden ist, auch weil jetzt viele Leute glauben, ich hätte das zugelassen, weil ich sein Parteigänger sei“.
Held habe, sagt die Pastorin, widerrechtlich die offen stehenden Kirchentüren für einen nicht genehmigten privaten Videodreh genutzt. Auch die Organistin habe nicht gewusst, dass ihr Spielen als Hintergrundmusik für den Facebook-Beitrag eines Parteipolitikers aufgenommen worden sei: Die Musikerin habe sich doch nur einspielen wollen für die anstehenden Weihnachtsgottesdienste.
Dass Held eine Grenze überschritten habe, dass er mit seinem Videodreh – auch juristisch – das Hausrecht des Kirchenvorstands verletzt habe, das sei übrigens nicht allein ihre persönliche Meinung: „Wenn Herr Held gefragt hätte, hätte der Kirchenvorstand einem solchen Film die Zustimmung verweigert.“
Sie habe den Stadtbürgermeister unlängst getroffen und ihn angesprochen, sagt Frau Rimbach-Sator weiter. Sie habe ihm gesagt, dass es nicht korrekt gewesen sei, dass er die Oppenheimer Kathedrale auf diese Weise „benutzt“ habe.
Die Pfarrerin sagt jetzt, in unserem Gespräch, mehrmals das Wort „benutzt“, sie betont es in einer Weise, dass der tiefere Sinn nicht zu überhören ist: Held drehte sein Video nur deshalb in der Oppenheimer Kathedrale, weil er sich selbst davon Vorteile versprach. Das ist Egoismus auf Kosten einer Religionsgemeinschaft: Die Kirche muss als Bühnenraum herhalten, die Gläubigkeit von Menschen wird für Verfolgung von ganz eigennützigen Interessen ausgeschlachtet.
„Was mich noch mehr betroffen gemacht hat“, sagt Frau Rimbach-Sator auch, „das ist, dass sich Herr Held völlig uneinsichtig zeigte“. Er habe ihr geantwortet, dass er die Kritik an seinem Video in keiner Weise nachvollziehen könne: Er sei ja schließlich Mitglied der Gemeinde. Und dann habe er auch noch gesagt: Wenn er gewusst hätte, dass er das Video in der Katharinenkirche nicht hätte machen dürfen, wäre er eben in eine andere Kirche gegangen.
Als Jurist müsse der Mann doch wissen, sagt Frau Rimbach-Sator, dass es auch einem Bundestagsabgeordneten nicht erlaubt sei, das Hausrecht der Kirche einfach zu missachten. Doch der Mann sei wohl unbelehrbar: Er habe ihr dann auch noch gesagt, wenn der Kirchenvorstand seine Kritik an dem Videodreh öffentlich äußere, dann sei das nicht mehr seine Kirche.
Auf diesem Grund habe man sich bei der Rechtsabteilung der Landeskirche beraten lassen, und die hätte noch einmal bestätigt: Das Hausrecht liege allein beim Kirchenvorstand, Videoaufnahmen ohne Genehmigungen seien grundsätzlich nicht zulässig.
Der Dekan habe Herrn Held jetzt einen persönlichen Brief geschrieben, sagt die Pastorin, zum Inhalt wolle sie nichts sagen. Im Aushang und im Internet wolle die Kirchengemeinde jetzt darauf hinweisen, dass Fotografieren und Filmen in dem Gotteshaus ohne Genehmigung nicht zulässig sei. Man werde das ganz allgemein formulieren, sagt die Pastorin, ohne Bezug auf einen konkreten Fall zu nehmen.