Gradinger-Verträge: Sagt Marcus Held die Unwahrheit?

Marcus Held hat eine mitternächtliche Mail verschickt – und muss sich jetzt einen schweren Vorwurf gefallen lassen: Raimund Darmstadt, der Vorsitzende der Alternativen Liste (AL) in Oppenheim, geht den SPD-Stadtbürgermeister in einer Pressemitteilung frontal an und wirft ihm vor, die Unwahrheit zu sagen.

So offen und vor allem auch öffentlich ist der SPD-Bundestagsabgeordnete noch nicht beschuldigt worden! Wenn man’s mit schlichten Worten formulieren will: Darmstadt wirft Held vor zu lügen!

Die Attacke kommt nicht von ungefähr: Held hat in seiner Mail Behauptungen aufgestellt, die sich auch bei intensiverer Überprüfung nicht nur nicht verifizieren lassen. Sondern die sich recht schnell als schlichtweg falsch herausstellen.

Ausgangspunkt des Schriftwechsels war der Bericht vom 9. September auf dieser Webseite: „Nach Post aus Mainz: Marcus Held sagt Ratssitzung ab“. Darin hatten wir aufgedeckt, dass Marcus Held wegen der Kosten-Explosion beim Gradinger-Abbruch weitere Landeszuschüsse beantragt hat. Und dass ihn das Innenministerium hinhält: Er solle erst einmal weitere Unterlagen beibringen, insbesondere Rückgriffsansprüche gegen den Grundstücksverkäufer verfolgen. Das Schreiben aus Mainz vom 18. August ist hier im Wortlaut nachzulesen; es passt ins Bild, dass Marcus Held seinen Stadtrat bisher weder über den Zuschussantrag noch über die Antwort der Landesregierung informiert hat.

Raimund Darmstadt reagierte umgehend: Am 11. September verschickte er morgens um kurz nach acht Uhr je eine Mail an Marcus Held und an Klaus Penzer, den Chef der Verbandsgemeindeverwaltung. Er verlangte Einsicht in alle Gradinger-Unterlagen; seine Begründung (im Detail hier nachzulesen): Er befürchte angesichts des Gradinger-Debakels „Kollateralschäden für den städtischen Haushalt und möglicherweise auch für die Unternehmen der GWG/HGO-Gruppe“.

Noch in der selben Nacht schrieb Marcus Held eine Antwort. Er verschickte sie kurz vor Mitternacht, um 23.46 Uhr, an Darmstadt sowie in Kopie an Klaus Penzer, an die drei städtischen Beigeordneten sowie an die Fraktionschefs von SPD und CDU im Stadtrat. Wir veröffentlichen die Held-Mail unkorrigiert und im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Darmstadt,

natürlich stellen wir ihnen gerne die gewünschten Unterlagen zusammen, auch wenn wir dies zum Teil jetzt schon mehrfach getan haben.

Ich erinnere daran, dass Sie mehrere Male öffentlich und im Stadtrat behauptet haben, Kaufverträge etc. zum Gradinger Projekt nicht zu kennen bzw. nicht erhalten zu haben. Daraufhin haben sie die Unterlagen immer wieder erneut erhalten (siehe hierzu Sitzungsprotokolle des letzten 18 Monate).

Auch jetzt versuchen Sie erneut zu suggerieren, dass ihnen Informationen vorenthalten wurden. Ich fordere Sie auf, dies nicht weiter zu tun.

Konkret nehme ich Bezug auf ihre Darstellung in der Mail, in der Sie von einem Bescheid vom 18. August 2017 sprechen. Ich betone, dass es keinen Bescheid vom 18. August gibt sondern ein Schreiben des Ministeriums mit gleichem Datum, in dem zusätzliche Informationen zur Erweiterung des Förderantrags angefordert werden.

Es gibt also, anders als Sie und mit ihnen eng verbundene Internet-Blogger behaupten, keinen neuen Sachstand. Der Antrag auf Erhöhung der Förderung ist gestellt und die angeforderten Unterlagen wurden heute (11.09.2017) auf den Postweg zum Land gegeben.

Wichtig ist mir auch der Hinweis, dass der Stadt und dem städtischen Haushalt keine Nachteile entstehen werden, egal wie der Zusatzantrag beschieden wird. Auch diese notarielle Regelung ist ihnen bekannt durch mehrfache Aushändigung der Kopie des Vertragsurkunde zwischen Stadt und GWG/HGO entsprechend dem Beschluss des Rates.

Ich hoffe diese Erläuterungen haben ihnen geholfen, den Sachverhalt zu verstehen. Sobald die Unterlagen zusammen gestellt sind, werden wir diese Ihnen und den anderen Fraktionen zukommen lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Marcus Held

Darmstadt wiederum veröffentlichte nach dieser Mail am Freitag, 15. September, eine Pressemitteilung. Darin wirft er Held vor, die Unwahrheit zu verbreiten: Dass die Gradinger-Verträge bereits ausgehändigt worden sein sollen, sei „rundum falsch“. Darmstadt wörtlich: „Die Stadträte haben weder die Originale noch die Kopien der beurkundeten Verträge jemals zu Gesicht bekommen.“

Und in der Tat: Zuletzt in der Sitzung des Stadtrates am 15. August hatte Darmstadt beantragt, dass alle Gradinger-Unterlagen vorgelegt werden sollten. Im Sitzungsprotokoll findet sich kein Hinweis darauf, dass die Unterlagen längst ausgehändigt wurden, wie Marcus Held in seiner Mail gleich mehrfach behauptet. Im Gegenteil: Über Darmstadts Antrag, die Gradinger-Unterlagen den verantwortlichen Ratsmitgliedern vorzulegen, wurde im Stadtrat abgestimmt: Die SPD-Fraktion war, wie im Protokoll nachzulesen ist, geschlossen dagegen, der Antrag war damit abgelehnt.

Trotz dieses eindeutigen Ratsbeschlusses schreibt Marcus Held jetzt, Darmstadt habe die Unterlagen „immer wieder erneut“ erhalten. Zu nächtlicher Stunde treibt’s den Stadtbürgermeister gar zur vorwurfsvollen Aufforderung:

Auch jetzt versuchen Sie erneut zu suggerieren, dass ihnen Informationen vorenthalten wurden. Ich fordere Sie auf, dies nicht weiter zu tun.

Was treibt den Stadtbürgermeister nur? Weiß er eigentlich noch, was er schreibt, was er tut? 

Vertragsentwurf zum Nachteil der Stadt

Besonders pikant ist auch noch dieser Passus in der Mail des Stadtbürgermeisters: Jurist Held spricht von einer „Vertragsurkunde zwischen Stadt und GWG/HGO“. Was denn nun: Ist die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft GWG die Käuferin – oder ihr Tochterunternehmen HGO?

Zur Erinnerung: Dem Autor dieser Webseite hatte Held die Kopie eines notariell beurkundeten Kaufangebots der GWG zur Hand gegeben. Später wurde dann der Entwurf (!) eines Kaufvertrags zwischen Stadt und HGO zirkuliert, in dem es hieß: Das Kaufangebot der GWG werde nicht angenommen.

Beide Vertragsvarianten unterscheiden sich bei der Abwälzung der Abbruchkosten signifikant. Für die Stadt erweist sich die neue HGO-(Entwurfs-)Version als nachteilig. Betrachten wir beide Varianten einmal genauer:

GWG-Kaufangebot: Kaufpreisbestandteil ist hier der „städtische Anteil Abbruchkosten nebst Entsorgung“. Dieser Betrag wurde im Ausgangspunkt mit 295.000 Euro beziffert. Dann hieß es: Dieser Kaufpreisbestandteil sei „variabel“. Konkret: Verändert sich „in dem Maße, in dem sich die tatsächlichen Werte (…) verändern“. Das heißt: Alles, was nach einem Landeszuschuss noch an Abbruchkosten bei der Stadt verblieben wäre, hätte von der GWG übernommen werden müssen. Abwälzung zu 100 Prozent.

HGO-Kaufvertragsentwurf: Hier sagt der vorgelegte Entwurf: Kaufpreisbestandteil ist „Refinanzierung 50% der Abbruch- und Entsorgungskosten“ Dieser Betrag ist im Ausgangspunkt mit 308.550 Euro beziffert (ausgehend von Gesamtkosten in Höhe von 617.100 Euro). Dann folgt die Regelung zur „Kaufpreisanpassung“. Wörtlich: „Der Kaufpreis erhöht sich in dem Maße, in dem sich die tatsächlichen Refinanzierungskosten der Abbruchkosten verändern (Kaufpreisanpassung um jeweils 50% der insgesamt erhöhten Abbruch- und Entsorgungskosten“).

Der zur Präzisierung eingefügte Klammerzusatz ist eindeutig: Soweit sich die tatsächlichen Abbruchkosten über den Betrag von 617.100 Euro erhöhen, wird die Hälfte des erhöhten Betrags von der HGO übernommen – nur die Hälfte! Abwälzung zu 50 Prozent.

Die restlichen 50 Prozent bleiben bei der Stadt – wenn sie nicht durch Zuschüsse gedeckt werden können. Und davon kann, wie wir aufgedeckt haben, aktuell keine Rede sein.

Wie also kann Held sich in der E-Mail an Darmstadt zu der Aussage versteigen, „dass der Stadt und dem städtischen Haushalt keine Nachteile entstehen werden, egal wie der Zusatzantrag beschieden wird“?

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