1. Akt: Eine Stadt sieht rot
Dubiose Verträge, merkwürdige Immobiliengeschäfte, ganz viel Geld: Das alles wird beschrieben in anonym versandten Papieren. Immer mittendrin: der SPD-Bundestagsabgeordnete und Oppenheimer Stadtbürgermeister Marcus Held. Was geht da ab, was treibt den Mann? Blick in eine Stadt, die rot sieht.
Polit-Sprengstoff im Aktenschrank
Es ist ein hochbrisantes Papier, das da in einem Aktenordner im Verwaltungs-Rundbau der Verbandsgemeinde Rhein-Selz abgeheftet schlummert. Es wurde bislang kaum beachtet, obwohl es Polit-Sprengstoff der gefährlichsten Art darstellt. Dieses Papier hat den Oppenheim-Skandal um den SPD-Bundestagsabgeordneten Marcus Held erst richtig ins Rollen gebracht hat:
Es handelt sich um einen offiziellen Vermerk des Leiters des Fachbereichs „Zentrale Immobilienverwaltung“: Unter Aktenzeichen 049/943‑8014 notierte der Mann am 3. November 2016, dass der Oppenheimer Stadtrat zwar beschlossen habe, für stadteigene Grundstücke im Gewerbegebiet Krämereck-Süd „einen Mindestverkaufspreis von 140 €/qm“ zu verlangen. Dieser Preis sei allerdings in mindestens zwei Fällen unterschritten worden, weshalb der Stadt ein Gesamtschaden in Höhe von „58.840 €!!“ entstanden sei. Die zwei Rufzeichen, die der Beamte hinter die fünfstellige Zahl setzte, dürften auf ein ausgeprägtes Ungehaltensein schließen lassen.
Der Oppenheim-Skandal: Seit Wochen tobt er durch das beschauliche Rheinhessen, beunruhigt längst die SPD in der Landesregierung in Mainz, er schwappte sogar bis in die Hauptstadt Berlin, wo die Parteistrategen in der SPD-Bundeszentrale im Willy-Brandt-Haus sorgenvoll die Nachrichten aus der rheinland-pfälzischen Provinz verfolgen. Es geht längst nicht mehr nur um die im Aktenvermerk genannten zwei Grundstücke. Die Vorwürfe wiegen viel schwerer: Es geht um den Verdacht rechtswidriger Auftragsvergaben, es geht um Scheingeschäfte mit Parteifreunden, es geht eventuell um Kick-back-Zahlungen.
Beständig im Zentrum aller Anwürfe: Marcus Held, ein Bundestagsabgeordneter der SPD, der zugleich Stadtbürgermeister von Oppenheim ist.
Ein Behördenchef gibt sich patzig
Eigentlich hätte es die unschönen Nachrichten nie geben sollen, zumindest hätten sie nicht nach draußen dringen sollen. Doch dann wurde am 3. November 2016 jener Aktenvermerk geschrieben.
Und es geschah erst einmal: nichts, gar nichts.
Genau das, nämlich das Ausbleiben von Reaktionen der politisch Verantwortlichen, war der entscheidende Fehler. Klaus Penzer, der Chef der Verbandsgemeinde Rhein-Selz, der als routinierter Verwaltungsmann, aber auch als strammer Parteisoldat gilt, hatte sich wieder einmal weggeduckt, was aber niemanden sonderlich überraschte: Penzer gehe jedem Disput mit seinem Parteifreund Marcus Held möglichst weiträumig aus dem Weg, heißt es in der Stadt. Der SPD-Politiker, so wird in seiner Verwaltung offen kolportiert, kusche immer wieder vor dem robusten und oft hemdsärmelig auftretenden Stadtbürgermeister.
Als Ulrich Gerecke, Redaktionsleiter der örtlichen „Allgemeinen Zeitung Landskrone“, Penzer später einmal darauf ansprach, dass er doch nicht erst im November 2016, sondern bereits im April 2014 einen ähnlich brisanten Vermerk zu Helds Geschäften erhalten habe, reagierte der Verwaltungschef ausgesprochen ungehalten: Das sei zum Teil drei Jahre her, sagte er. Und fügte patzig hinzu: „Ich kann heute nicht mehr alles rekapitulieren, was ich in 23 Jahren meiner kommunalpolitischen Arbeit geprüft und unterschrieben habe.“
Dem großen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt wird der Ausspruch zugeschrieben: „Wer Unrecht lange geschehen lässt, bahnt dem nächsten den Weg.“ Genau deshalb, weil eine Remonstration wiederholt wirkungslos verpufft war und vermeintliches Unrecht erneut nicht verfolgt wurde, verbündeten sich Ende letzten Jahres mehrere Mitarbeiter der Penzer-Verwaltung. Ihr Ziel: Das kollektive Schweigen der Verantwortlichen und Mitwisser in Oppenheim sollte aufgebrochen, etliche dubios erscheinende Vorgänge an der Stadtspitze sollten endlich aufgedeckt werden.
Der Aktenvermerk, den die Verwaltungsspitze offenbar totschweigen wollte, war nur der berühmte letzte Tropfen in einem bis zum Rand gefüllten Fass des Unmuts: Die Mitarbeiter der Verbandsgemeinde – intern werden mal drei, mal fünf Namen genannt – kopierten aus diversen Ordnern jede Menge behördeninterner, teilweise auch vertraulicher Unterlagen, mit denen sie angeblich strafrechtlich relevantes Verhalten von Stadtbürgermeister Held aufdecken wollten. Sie fassten die Unterlagen in einem 48-seitigen Dossier zusammen und verschickten es an Behörden und Redaktionen.
Verbale Vernichtungsschlacht
Der Oppenheim-Skandal ist seither nicht mehr zu stoppen. Der Stapel Papier, der von den anonymen Autoren etwas altklug mit „Memorandum“ überschrieben wurde, hat eine unglaublich zerstörerische Sprengkraft im auf den ersten Blick so friedlich wirkenden Oppenheim entwickelt. Das Dossier will nicht nur von ein oder zwei merkwürdigen Deals des Stadtbürgermeisters wissen. In dem Konvolut finden sich zahlreiche Kopien von Vertragsauszügen und Rechnungen, die beweisen sollen: Marcus Held sei wiederholt Provisionsverpflichtungen gegenüber Maklern eingegangen, obwohl es sachlich keinen Anlass und erst recht keine rechtliche Verpflichtung dafür gab. Er habe serienweise und teils im großen Stil Aufträge vergeben, ohne dass entsprechende Autorisierungen vorlagen. Er habe bei der Vergabe städtischer Grundstücke eigenmächtig Rabatte eingeräumt, ohne dazu legitimiert gewesen zu sein, zum Vorteil von ihm persönlich ausgewählter Profiteure.
Seit all das bekannt ist, regiert Misstrauen die Stadt. Argwohn schleicht durch die engen Straßen der Altstadt rund um Rathaus und mächtiger Katharinen-Kathedrale. Verdächtigungen machen die Runde, öffentlich ist die Rede von Hass, Rache, Wut, Erpressung und Zerstörung. Die kleinstädtische Politik bedient sich Vokabeln einer gewalttätigen Vernichtungsschlacht, die lokale Zeitung berichtet seit Wochen nahezu täglich, währenddessen Marcus Held, der Hauptbetroffene, sich windet und wendet: Mal gibt er den trutzigen Gutmenschen, der doch nur das Beste für seine Stadt wolle, mal ergibt er sich in Selbstmitleid: Es verletze ihn persönlich, „wenn mir unser damaliges Handeln jetzt so negativ ausgelegt wird“, wehklagte er in einem Interview mit der „Allgemeinen Zeitung Landskrone“. Und wiederholt gebetsmühlenartig, dass er sich nichts vorzuwerfen habe. „Das, was wir gemacht haben, ist transparenter als alles andere. Klarer geht es nicht“, sagt er.
Fehler? Er? Niemals!
Der Stadtbürgermeister spaltet die Stadt
Die Vorwürfe gegen Marcus Held, die in dem anonym verfassten Dossier aufgelistet, mit zahlreichen behördeninternen Dokumenten untermauert und auf den nächsten Seiten dieser Webseite ausführlich beleuchtet werden, lauten in der schnellen Übersicht:
Marcus Held soll bei Immobiliengeschäften Makler zugelassen haben, die völlig überflüssig waren, und er soll sie aus der Stadtkasse bezahlt haben, obwohl sie von den Geschäftspartnern bestellt worden waren.
Marcus Held soll einen Parteifreund als Stadtplaner mit sehr vielen Aufträgen versorgt haben. Er bezahlte den Mann aus der Stadtkasse, obwohl dessen Arbeiten von der Verbandsgemeinde hätten ausgeführt werden können, wofür Oppenheim sogar noch eine Umlage zahlt.
Marcus Held soll seinem Parteifreund, dem Stadtplaner, zusätzlich ein sehr lukratives Maklergeschäft zugeschoben haben, wobei er für dessen Bezahlung gleichzeitig die Käufer wie auch die Stadt vertraglich verpflichtete.
Marcus Held soll eigenmächtig und hinterm Rücken des Stadtrats ein städtisches Grundstück an eine Geschäftsfrau mit fast 90 Prozent Rabatt abgegeben haben.
Und schließlich soll sich unter den Profiteuren der Heldschen Stadtverwaltung auch sein Amtsvorgänger befinden, der inzwischen Ehrenbürger von Oppenheim ist: Der hielt im Verbund mit seiner Ehefrau als Makler einer innerstädtischen Immobilie die Hand auf und wurde über Marcus Held aus der Stadtkasse bezahlt, obwohl ihn die Stadt gar nicht engagiert hatte.
Das alles und noch einiges mehr ist dem Dossier zu entnehmen. Neben den dienstrechtlichen Fragestellungen, die in den nächsten Monaten von unabhängigen Rechnungsprüfern aus Speyer beantwortet werden, stellt sich der Öffentlichkeit natürlich die drängende Frage: Was treibt einen Mann, der es bis zum Bundestagsabgeordneten gebracht hat – und jetzt die Menschen in „seiner“ Stadt Oppenheim in zwei Lager teilt, die sich seinetwegen unversöhnlich, ja voll Abneigung und teilweise blankem Hass gegenüberstehen.
Sammler der Posten und Pöstchen
Schauen wir ihn uns etwas genauer an: Marcus Held, erst 39 Jahre alt, verheiratet, Vater von zwei kleinen Kindern. Ehefrau Verena gehört dem örtlichen SPD-Parteivorstand (Vorsitzender: Marcus Held) an, sie gibt sich ansonsten gesellschaftlich zurückhaltend.
Der studierte Jurist schaffte es binnen weniger Jahre, dass ohne ihn nichts mehr läuft in Oppenheim. Er hat sich an den zentralen Schaltstellen des kleinen Gemeinwesens platziert:
Dass er – neben seinem Hauptjob als Bundestagsabgeordneter – ehrenamtlicher Stadtbürgermeister ist und die kommunale Verwaltung führt: Das wissen wir bereits (wobei die so genannte Ehrenamtlichkeit mit mehr als 2000 Euro im Monat gewiss nicht schlecht honoriert wird).
Dass Marcus Held zugleich Vorsitzender des SPD-Ortsvereins ist: Das ist sicher normal.
Dass er Vorsitzender des SPD-Verbandes Rhein-Selz ist: ebenso, vielleicht.
Dann sitzt er für die SPD noch im Verbandsgemeinderat Rhein-Selz.
Und er ist auch Mitglied der SPD-Fraktion im Kreistag Mainz-Bingen.
Wenn in Oppenheim im größeren Stil Wohnungen gebaut werden, ist das in der Regel ein Werk der Gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft Oppenheim (GWG). Die besitzt laut Homepage mehr als 250 Wohnungen, ist also ein richtiges Unternehmen. Und wie heißt der Vorstandsvorsitzende der GWG? Genau: Marcus Held. Der macht den gewichtigen Job sozusagen nebenbei.
Die Baugenossenschaft hat eine 100prozentige Tochter, die nennt sich kurz HGO, was eine Abkürzung für den ellenlangen Firmennamen „Haus- und Grundstücksverwaltungsgesellschaft der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Oppenheim mbH“ ist. Der Geschäftsführer der HGO ist, na klar: Marcus Held.
Er ist auch Vorsitzender des Vereins Oppenheimer Tafel.
Er ist auch Vorsitzender der Stiftungskommission der Stiftung Zivilhospital Oppenheim, deren Träger die Stadt sowie die evangelische und die katholische Gemeinde sind und die ein Altenheim betreibt.
Und auf der Internetseite der Stadt wird er zudem als Ansprechpartner der Gemeinschaft Oppenheimer Vereine genannt.
Auf seiner privaten Homepage zählt der SPD-Politiker dann noch auf: Er ist Mitglied des 1. FC Kaiserslautern und von Wormatia Worms, er ist Mitglied bei der AWO und DLRG, beim VdK und NABU sowie im Angelsport-, Carneval-, Fussballsport-, Turn-, Hundesport-, Geflügelzuchtverein „u.v.m.“
Nicht zuletzt zeigt sich Held dekoriert mit allerlei lokalen Auszeichnungen, er darf sich „Ritter des Uhrturms“ nennen und Weinritter, er ist Ehrenmitglied beim Hundesportverein „Agility Freunde Oppenheim 03“ wie auch beim örtlichen Fußballclub FSV.
(Für die Vollständigkeit der Held-Aktivitäten kann hier keine Gewähr übernommen werden.)
Wer angesichts der schier erdrückend wirkenden Allgegenwart immer noch nicht genug hat von Marcus Held: Der gehe in Oppenheims Stadtmitte. Vis-a-vis vom Rathaus hat sich, in einem Fachwerkhaus mit rot gestrichenen Balken, die örtliche SPD eingerichtet. Im Schaufenster steht ein Panasonic-Flatscreen, der in Endlos-Schleife Fotos und Filmchen zeigt. Hauptdarsteller in nahezu jeder Sequenz: Marcus Held – im unermüdlichen Einsatz für sein kleines Oppenheim.
Die Verdienste des Marcus Held
– Als Mitglied des Bundestages (MdB) bekommt er jeden Monat 9.327 Euro (ab Juli 9.542 Euro).*
– Als Stadtbürgermeister von Oppenheim: 2.186 Euro/Monat.
– Als Mitglied im Verbandsgemeinderat Rhein-Selz: 100 Euro/Monat plus 35 Euro pro Sitzung.
– Als Beauftragter der Badeanstalt „Opptimare“: 600 Euro/Monat.
– Als Mitglied der SPD-Fraktion im Kreistag Mainz-Bingen: 200 Euro/Monat plus 60 Euro Sitzungsgeld.
– Als Vorstand des GWG Oppenheim: 400 Euro/Monat.
– Als Geschäftsführer der HGO Oppenheim: 450 Euro/Monat.
*Neben seiner MdB-Diät steht Held, wie jedem Mitglied des Bundestags, eine steuerfreie Aufwandspauschale in Höhe von monatlich 4305 Euro zu. Dazu kann er bis zu 12.000 Euro im Jahr als Büromittel-Pauschale abrechnen. Für Mitarbeiter werden bis zu 20.391 Euro im Monat gezahlt. Jeder Abgeordnete hat zudem Anspruch auf ein Büro in Berlin (incl. Möblierung, Computer, Laptop, Drucker, Telefon etc.), Züge der Deutschen Bahn kann er kostenlos nutzen, auch privat. Herr Held teilte mit, dass die Kostenpauschale u.a. für alle Ausgaben im Wahlkreis (Anmietung Bürgerbüros, Telefon…) gezahlt werde, und dass „die Ausgaben bei einem aktiven Abgeordneten monatlich eher höher sind! Insofern ist das keine Bezahlung oder Honorierung.“
Die genannten Zahlen basieren auf Internet-Recherchen. Auf Nachfrage erklärte Marcus Held, die Auflistung sei „meines Erachtens korrekt und vollständig“.
Seine Gegner: Politik nach Gutsherrenart
Eine derartige Konzentration von Ämtern und Posten, damit auch von Macht und Einflussnahme ist in unserem demokratischen Gemeinwesen eigentlich kaum erträglich. Dass Held als Bundestagsabgeordneter Kontakte zur Basis behalten will, ist verständlich. Aber muss er wirklich alle möglichen Gremien anführen, in allen möglichen kommunalen Parlamenten sitzen, und dann auch noch eine Baugenossenschaft führen?
Oppenheim ist Helds Machtbastion, heißt es in der Stadt. Held könne dank seiner diversen Chef-Posten nicht nur mit der Machtfülle eines Souveräns regieren. Er könne auf diese Weise auch Ämter und Funktionen an andere vergeben, womit er sich deren Dankbarkeit sichere, was wiederum seine Position weiter stärke.
Den Mann treibe egozentrische Machtgier, urteilen seine Gegner. Held herrsche nach Gutsherrenart und verhalte sich damit zutiefst undemokratisch. Inzwischen nennen ihn einige den „Erdogan von Oppenheim“, was hart an der Grenze zur Bösartigkeit ist, aber auch als Seismograph einer politischen Befindlichkeit dienen kann. Die Kritik, auch das ist bezeichnend, wird nur hinter vorgehaltener Hand geäußert: Laute Gedanken dieser Art dürfe man in Oppenheim nicht wagen auszusprechen, heißt es, sonst würde man abgestraft mit Ausgrenzung, was im überschaubaren Kosmos einer kleinen Kommune einer gesellschaftlichen Vernichtung gleichkomme. Die Angst davor ist allemal größer als der Mut zum offenen Widerstand, weshalb auch regelmäßig die dringende Bitte geäußert wird: „Schreiben Sie bloß nicht, dass ich’s Ihnen gesagt habe.“
Eine Realsatire namens „Opptimare“
Tatsächlich wirken die opulente Machtfülle und dräuende Omnipräsenz von Marcus Held in der 7300-Seelen-Kleinstadt, von außen betrachtet, mehr als befremdlich. Bisweilen zeigt sie sich zudem hochnotpeinlich:
Marcus Held, der SPD-Bundestagsabgeordneter und Stadtbürgermeister und Chef der Baugenossenschaft ist und noch so vieles mehr, ist zu alledem auch noch „Beauftragter der Verbandsgemeinde Rhein-Selz für das Hallenbad Opptimare“. So lautet sein offizieller Titel, und er kassiert dafür, das nur nebenbei, 600 Euro im Monat.
Beauftragter für das Hallenbad „Opptimare”: Es mag sein, dass man mit einem solchen Eintrag im Lebenslauf bei den Bundestags-Kollegen im fernen Berlin ganz super Eindruck schinden kann. Ein Hallenbad namens „Opptimare“ lässt schließlich durchaus aufregende Assoziationen zu.
Die Wahrheit entdeckt, wer etwas genauer hinschaut: Beim „Opptimare“ handelt es sich mitnichten um ein attraktives Spaß- und Freizeitbad, wie der Name suggeriert, sondern um ein eher kümmerlich kleines Hallenbad am Rande Oppenheims. Äußerlich ist es in die Jahre gekommen, innen zeigt es sich mit einem 25-Meter-Becken, einer Babyplantschwanne und einer Sauna schlicht-funktional. Wer immer Slogans wie „Erlebnisbad“, „Wohlfühloase“ oder „Oase mit Stil“ ersonnen hat, kann nie im „Opptimare” gewesen sein.
Warum nur hat sich Marcus Held den Job eines Beauftragten einer solchen Badeanstalt angetan? Wegen der paar hundert Euro, die er dafür bekommt? Das kann’s doch eigentlich kaum sein!
Es gibt eine Erklärung, die wahrscheinlicher klingt, sie wird von den anonymen Autoren des Dossiers aufgezeigt: Marcus Held kann über das Hallenbad prächtig Werbung für sich selbst machen, das auch noch vollkommen kostenlos, was in diesem Fall heißt: auf Kosten der Verbandsgemeinde.
So wurden „Opptimare”-Anzeigen im Alzeyer oder Wormser Wochenblatt gedruckt, in der Regel immer mit Held-Konterfei und dessen Grußwort. Dabei interessiere sich in Alzey und Worms kein Mensch für das mickrige 25-Meter-Becken in Oppenheim, schreiben die Dossier-Autoren. „Sinn ergeben entsprechende Anzeigen nur, wenn man nicht den Oppenheimer Lokalbezug, sondern die Verbreitung der Person Held im Bundestagswahlkreis Alzey-Worms-Oppenheim in den Blick nimmt.“ Die Dossier-Autoren weiter: Damit sei eine kommunalrechtliche Legitimation der Aufwendungen für solcherlei Anzeigen zu verneinen und vielmehr „eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht durch Held“ zu vermuten.
Im Klartext: Es könne durchaus strafrechtlich relevant sein, wenn Marcus Held derartige Anzeigen auf Kosten der Steuerzahler schalte.
Auch sonst drängt Held in einem Ausmaß, das normal empfindsame Menschen nur als unangenehm aufdringlich empfinden können, mit „seinem“ Hallenbad ins öffentliche Bewusstsein:
Gleich im Eingang des Schwimmbads hängt ein Plakat: „Urlaub zuhause? Das ‚Opptimare’ bietet 365 Tage Urlaubsfeeling“. Angesichts des Schlichtbads klingt eine solche Werbung wie Realsatire; auch gehört der Grafiker des kleinen Posters unbedingt abgemahnt: Statt eines Fotos, das wenigstens einen Hauch von Urlaubsfeeling signalisiert, zeigt das Plakat als Eyecatcher ein Held-Porträt mit Rettungsring um den Hals. Was, bittschön, hat ein langweiliges MdB-Porträt mit Urlaubsgefühlen zu tun?
Am Schwimmbad-Tresen liegt ein Kursplan, der „Wassergewöhnung ab 4 Jahren“ und „Gymnastik für Mollige“ für 49 Euro anbietet. Die erste Seite des Prospekts ziert das Konterfei eines grinsenden Mannes in schwarzem Jackett, der seine rote Krawatte straff um den Hals geknotet hat. Der Mann wird namentlich erst gar nicht erwähnt, es wird wohl erwartet, dass jeder ihn kennt: Na klar, es ist Marcus, der Held von Oppenheim.
Das Problem ist sein Ruf
Und so sieht diese Stadt rot, überall. Das ist nicht nur politisch gemeint. Das betrifft nicht nur die Krawatte des Stadtbürgermeisters. Die GWG/HGO, die unter Führung von Marcus Held Wohnungen bauen und umbauen, markieren ihre Häuser mit blutroten Hauswänden. An seinem eigenen Haus am Fuß eines Weinbergs hat Marcus Held die Balkone im gleichen auffälligen Rot angepinselt.
Die Botschaft, die damit ausgesendet wird, ist unmissverständlich; sie lautet: Die Partei – natürlich die SPD – ist überall. Und auch ich, Marcus Held, bin immer bei euch.
Und genau da liegen die Wurzeln der Probleme von Marcus Held: Es gibt Spielregeln in unserem demokratischen Gemeinwesen, Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Vorschriften, es gibt sie aus gutem Grund, um Entscheidungsprozesse transparent und nachvollziehbar zu machen und Missbrauch zu verhindern. Es gibt Gremien, die nicht nach dem Gusto eines Einzelnen eingeschaltet werden können (oder eben auch nicht), sondern die gefragt werden müssen, die für Entscheidungen zuständig und verantwortlich sind.
Mit seinen Multi-Aktivitäten, seinem permanenten Überall-will-ich-dabei-sein und seinen forschen Alleingängen scheint sich Marcus Held verrannt zu haben, wie ein Getriebener in einem undurchdringlichen Dickicht, wo am Ende weder Weg noch Ziel zu erkennen sind. Längst wird nicht mehr nur die Frage gestellt: War alles rechtens, was er tat? Schon steht der unangenehme Verdacht der eigennützigen Vorteilsnahme im Raum. Die Dossier-Autoren hegen einen Verdacht, ohne einen Beweis zu haben, sie formulieren es juristisch raffiniert: „Aus den nicht gerechtfertigten Provisionszahlungen könnten Rückflüsse (sog. Kick-backs) in Richtung der SPD Oppenheim und/oder sogar der Person Held gespeist worden sein.“
Solche Verdächtigungen können schrecklich infam sein, weil ihnen eine urgewaltige zerstörerische Kraft innewohnt. Ein Politiker, ein Bundestagsabgeordneter zumal, täte gut daran, alles zu vermeiden, was solchen Verdachtsmomenten Nahrung bietet.
Marcus Held, heißt es, habe sich in seiner Allgegenwart und sicher auch vermeintlichen Allmächtigkeit die Verdächtigungen selbst zuzuschreiben. Die Zeitung „Rheinpfalz“ formuliert es so: „Das Problem ist sein Ruf. Ihm wird so etwas zugetraut.“ Schon verfolge die Landes-SPD die Entwicklung in Oppenheim „mit kühler Distanz zu Marcus Held: Sein forscher Politikstil erinnere an die 1960er und 70er Jahre, das sei nicht mehr zeitgemäß“.
Eine Drohung an die Stadt
In der Stadt sagen sie, er agiere besserwisserisch und selbstherrlich, und genau darüber sei er jetzt gestolpert. Dass er sich zu viel zutraute, ohne Rücksicht auf irgendwelche Regeln. Und dass man ihm alles und wohl auch noch einiges mehr zutraut. Ob es ihn am Ende mehr kostet als nur den guten Ruf, bleibt abzuwarten:
Beamte des Rechnungshofes in Speyer haben jetzt Arbeitsplätze im kreisrunden Büro- und Geschäftshaus („Rondo“) von Klaus Penzers Verwaltung okkupiert: Sie lassen sich Berge von Papier bringen, Rechnungen, Bücher, Belege, Schriftstücke, Verträge. Und sie laden Mitarbeiter zu Gesprächen vor. Es handelt sich um eine Sonderprüfung, die durchaus als ungewöhnlich zu betrachten ist. Wären die Dokumente in dem anonymen Dossier nicht aussagestark, wären die Prüfer gewiss nicht umgehend angerückt.
Jetzt werden sie die Geschäftstätigkeit des Oppenheimer Stadtbürgermeisters genauestens unter die Lupe nehmen. Die Rechnungsprüfer legen Wert auf absolute Unabhängigkeit, sie lassen sich nicht treiben und nichts vorschreiben. Sie tun ihren Job.
Marcus Held kämpft um seine Reputation. Er zieht dabei alle Register. Das Wehklagerische, das hatten wir schon. Er kann aber auch anders, er hat’s gezeigt. Wenn man ihn mies behandle, lautet eine seiner Botschaften, die er via „Allgemeine Zeitung Landskrone“ unters Volk verbreiten ließ, dann werde er’s der ganzen Stadt zeigen. „Ich werde dann jedes noch so kleine Detail in die Gremien bringen, auch wenn es Sache der laufenden Verwaltung ist. Das wird dann eben zur Folge haben, dass Dinge länger dauern, die bisher schnell gingen.“
Es klang wie eine Drohung. Es war entlarvend: Marcus Held geht es ganz offensichtlich nicht um die Menschen in der Stadt. Dieser Mann interessiert sich nur für einen Menschen: für Marcus Held.
Viel Arbeit für den Staatsanwalt
Der Oppenheim-Skandal beschäftigt inzwischen auch die Staatsanwaltschaft Mainz, gleich mehrere Anzeigen gingen dort ein.
1. Am 9. Februar wurde anonym eine Strafanzeige gegen Marcus Held erstattet – wegen des Verdachts der Untreue. Die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Keller sagte dazu: „In dieser Strafanzeige, der auszugsweise Dokumente in Kopie als Anlage beigefügt waren, werden im wesentlichen Grundstücksgeschäfte thematisiert.“ Es werde geprüft, ob ein Anfangsverdacht strafbaren Verhaltens bestehe. Da der Rechnungshof in derselben Angelegenheit eine eigene Überprüfung durchführe, habe man „aus arbeitsökonomischen Gründen“ vereinbart, dass der Rechnungshof zu gegebener Zeit die Unterlagen und auch seine Erkenntnisse mitteilt. Helds Anwalt habe inzwischen eine erste und als vorläufig bezeichnete Stellungnahme abgegeben. Keller: „Ich vermag derzeit nicht abzuschätzen, wie lange die Prüfung zeitlich in Anspruch nehmen wird.“
2. Am 11. April gab der Anwalt von Marcus Held eine Kopie eines anonymen Schreibens und eines Kuverts bei der Staatsanwaltschaft ab und erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt wegen versuchter Nötigung: Der Bürgermeister, so die Leitende Oberstaatsanwältin, habe einen „Drohbrief“ erhalten. Die Akte sei noch am 11. April an die Polizei übersandt worden, um das Original-Schreiben und -Kuvert als Beweisstücke sicherzustellen, „da nur an den Originaldokumenten Spuren gesichert werden können“. Neben der Untersuchung des Briefes und des Kuverts sei eine Vernehmung Helds zur Auffindesituation beabsichtigt. „Die polizeilichen Ermittlungen dauern noch an. Ich vermag nicht abzuschätzen, wie lange die Ermittlungen zeitlich dauern werden.“
3. Schließlich erstattete Bürgermeister Klaus Penzer für die Verbandsgemeinde Rhein-Selz am 8. Mai Strafanzeige gegen den oder die unbekannten Verfasser des so genannten „Memorandums“. Penzers Strafanzeige sei von einem Rechtsanwalt verfasst, es gehe um Vorwürfe der Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB), des Ausspähens von Daten (§§ 202 a, 202 b StGB), der Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB) und der Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b StGB). Andrea Keller: „Auch dieser Vorgang ist zur Durchführung von Ermittlungen an die Polizei versandt. Ich vermag nicht abzuschätzen, wie lange die Ermittlungen zeitlich dauern werden.“