Noch ist es nur ein Wispern in der Stadt, ein Raunen, ein leises Geflüster. Nur hinter vorgehaltener Hand werden Beobachtungen, Gesehenes und Gehörtes, weitergegeben, als sei es brandgefährlich, laut und offen darüber zu reden: Mitglieder der Oppenheimer SPD sollen versucht haben, die Landratswahl im Kreis Mainz-Bingen zu manipulieren. Sie sollen mit nicht zulässigen Methoden versucht haben, Einfluss auf Wähler und das Wahlergebnis auszuüben.
Dass die SPD bei dieser Wahl am Ende nicht obsiegte, dass die CDU-Kandidatin Dorothea Schäfer den SPD-Mann Salvatore Barbaro regelrecht deklassierte, das ändert nichts daran: Wenn sich die Vorwürfe als wahr erweisen sollten, stehen nicht nur die lokalen Sozialdemokraten insgesamt entblößt dar – als Genossen, die sich unter dem Gewand einer demokratischen Partei zutiefst anti-demokratisch aufführen. Noch härter muss schon der bloße Verdacht den allgegenwärtigen Stadtbürgermeister treffen, der für die SPD im Bundestag sitzt und von dem man deshalb ein herausragendes Rechtsbewusstsein erwarten müsste.
Was ist passiert? Was wird da gemunkelt.
Die angeblich versuchte Wahlmanipulation lässt sich in mehrere Komplexe gliedern, die eng miteinander verwoben sind:
1. SPD-Mitglieder sollen im großen Stil im Oppenheimer Altenheim (Vorsitzender der Stiftungskommission: Stadtbürgermeister Marcus Held) die Wahlbenachrichtigungen von Bewohnern eingesammelt, die Briefwahlunterlagen angefordert und diese dann ausgefüllt haben. Auch die Wahlscheine von Demenzkranken sollen ausgefüllt und abgegeben worden sein.
2. Nach dem ersten Wahlgang, bei dem sich eine Niederlage des SPD-Kandidaten bereits abzeichnete, sollen die Wählerlisten in der Verwaltung ausgewertet worden sein. Sodann, so berichten mehrere Betroffene, seien SPD-Mitglieder – die Rede ist von mindestens 20 Teams – im Gebiet der Verbandsgemeinde Rhein-Selz losgeschickt worden, um nicht zur Wahl gegangene SPD-Mitglieder „zu massieren“.
3. Unmittelbar nach dem ersten Wahlgang soll Stadtbürgermeister Marcus Held bei der Verwaltung der Verbandsgemeinde vorstellig geworden sein. Nach Darstellung gleich mehrerer Informanten wollte er ein Bündel von Eigenanträgen, mit denen Wahlberechtigte ihre Briefwahlunterlagen anfordern können, gegen Wahlunterlagen eintauschen. Das ist vereinzelt möglich, aber nicht in größerer Stückzahl. Es sei auch aufgefallen, heißt es, dass die vorgelegten Eigenanträge von verschiedenen Personen danach aussahen, als entstammten sie ein und derselben Quelle.
4. Auch andere SPD-Mitglieder sollen auf diese Weise in der Verwaltung der Verbandsgemeinde versucht haben, an Wahlunterlagen in größerer Stückzahl heranzukommen. Auch hier fiel auf, dass die Eigenanträge nahezu identisch angefertigt waren.
5. Am vergangenen Sonntag, als der zweite und entscheidende Wahlgang stattfand, sollen SPD-Wahlhelfer in den Wahllokalen die Wählerlisten mit ihren Handys fotografiert und die Fotos verschickt haben: So konnten SPD-Mitglieder, die am frühen Nachmittag nicht zur Wahl gegangen waren, aufgefordert werden, ihr Kreuzchen zu machen – natürlich für den richtigen Kandidaten…
Wie gesagt: All das wird bisher nur gemunkelt, Beweise gibt’s natürlich keine, wie denn auch? Und deshalb könnte der Verdacht aufkeimen, mit solcherlei Gerede wolle der Überraschungssieger der Landratswahl, die CDU, der unterlegenen SPD eins auswischen.
Dagegen spricht allerdings, dass entsprechende Manipulations-Beobachtungen offensichtlich in einer Vielzahl gemacht und von verschiedenen Personen, bei denen eine Parteinähe nicht ansatzweise auszumachen ist, unabhängig voneinander weitergetragen wurden. Bei einer solchen Konzentration ist Anwürfen nachzugehen, weil ansonsten jede Aufklärung schon im Ansatz unmöglich wäre.
Marcus Held geht auf Fragen zu den Vorwürfen, so er sie überhaupt beantwortet, nur äußerst kurz angebunden ein, was sehr ungewöhnlich ist für einen Mann, der so gern das Wort führt. An den Vorwürfen sei nichts dran, lautet seine Darstellung, zumindest wisse er von nichts, und schon gar nicht sei er beteiligt gewesen. Und klar: Die Anwürfe dienten nur dazu, um ihn weiter ins Zwielicht zu führen. Solch Ausspruch war zu erwarten: Die Täter-Opfer-Umkehr ist eine hinlänglich bekannte Verteidigungsstrategie; sie hat nur den einen Nachteil, dass bei wiederholter Anwendung ihre Wirkkraft gen Null tendiert. Was Marcus Held offenbar nicht abschreckt, sie immer wieder auszuprobieren.
Dr. Stephan Danzer vom Amt des Landeswahlleiters Rheinland-Pfalz erklärte auf Anfrage: Natürlich sei es möglich, per Vollmacht Briefwahlunterlagen – zum Beispiel für die Bewohner eines Altenheims – in einer Verwaltung anzufordern. Die Anzahl der Bevollmächtigungen sei nicht limitiert, wenn die Unterlagen den Wahlberechtigten durch die Verwaltung zugeschickt werden sollten. Wenn der „Bote“ jedoch per Vollmacht die Wahlunterlagen direkt aus der Verwaltung mitnehmen wolle, dürften ihm höchstens vier ausgehändigt werden.
Noch eine andere Frage: Dürfen Wählerlisten von einem Bürgermeister und/oder Wahlhelfern dahingehend ausgewertet werden, ob einzelne Wahlberechtigte zur Urne gegangen sind oder eben nicht?
Klare Antwort des Verwaltungsexperten: Das geht gar nicht! Wählerlisten auswerten nach personenbezogenen Daten? Das ist streng verboten! Wählerlisten abfotografieren und verschicken? Auch das: strengstens untersagt. Nur der Wahlvorstand dürfe wissen, ob jemand zur Wahl gegangen sei oder nicht, und dieses Wissen sei geheim zu halten. Nur der Wahlvorstand dürfe Wählerlisten einsehen und auswerten, letzteres aber nur und ausschließlich zu statistischen Zwecken.
Letzte Frage an den Wahl-Fachmann: Wer ist dafür zuständig, wenn solche Verdächtigungen die Runde machen?
Antwort: Da wenden Sie sich am besten an den Kreiswahlleiter Mainz-Bingen.
Und genau da fangen jetzt die Probleme im Landkreis Mainz-Bingen und in Oppenheim an. Andererseits: Genau da findet sich, vielleicht, auch endlich die Lösung…
Wahlleiter im Kreis Mainz-Bingen ist Claus Schick, der bisherige Landrat. Er gilt als strammer SPD-Mann. Kann man von ihm erwarten, dass er in den Oppenheim-Skandal eintaucht und umgehend umfassende Klärung in der Stadt seines Parteifreundes herbeiführt?
Erwarten, ja, das kann man sicherlich von ihm. Aber wird er’s auch tun?
Die Kreisverwaltung Mainz-Bingen bekam am Donnerstag vom Autor dieser Webseite einen Fragenkatalog übermittelt. Es waren ähnliche Fragen wie die an Herrn Danzer. Aber in der Kreisverwaltung Mainz-Bingen setzt man wohl andere Prioritäten: Antworten seien erst am Montag, und das auch nur vielleicht, zu erwarten, teilte Julia Isamenger von der Pressestelle auf Nachfrage am Freitagmittag mit. Später schickte sie per Mail hinterher: „Sie hören nächste Woche von uns.“ Ein so langes Wartenlassen auf Beantwortung ganz simpler Fragen ist vielleicht zulässig, aber auch äußerst ungewöhnlich. Denn es öffnet Tür und Tor zu neuen Mutmaßungen, die man doch eigentlich nicht will und mag und denen man mit schnellen Antworten beikommen könnte.
Eine Lösung, gibt es sie? Ja, und nicht nur in diesem neuen Akt des Oppenheim-Skandals könnte sie vielleicht im überraschenden Ausgang der Landratswahl selbst zu finden sein: Dorothea Schäfer wurde mit 65,1 Prozent zur neuen Landrätin gewählt. Damit ist die absolutistisch regierende SPD-Regentschaft in Rheinland-Pfalz durchbrochen. Und eine ehrliche Aufklärung, auch eine konsequente Kommunalaufsicht, vielleicht etwas näher gerückt.
Marcus Held: Alles ganz normal
Natürlich wollten wir von Marcus Held wissen, was an den Vorwürfen der versuchten Wahlmanipulation dran sei. Natürlich sollte er Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen.
Die Fragen, die ihm per Mail übermittelt wurden, lauteten (hier etwas gestrafft):
SPD-Mitglieder sollen Wahlanträge im Oppenheimer Seniorenheim eingesammelt und dann die Briefwahlunterlagen ausgefüllt haben, auch von Demenzkranken. Wissen Sie von solchen SPD-Aktionen? Wie bewerten Sie sie?
Nach dem ersten Wahlgang wurden Wählerlisten angeblich von Ihnen und weiteren SPD-Mitgliedern im Rathaus ausgewertet, mindestens 20 SPD-Teams sollen Nicht-Wähler gedrängt haben, am zweiten Wahlgang teilzunehmen. Haben Sie Wählerlisten ausgewertet?
Aus den Wahlbüros wurden SPD-Mitglieder angerufen, die noch nicht wählen gegangen waren, und aufgefordert, wählen zu gehen. Wissen Sie davon? Und wie bewerten Sie ein solches Verhalten?
Sie selbst wurden angeblich nach dem ersten Wahl-Sonntag in der Verbandsgemeinde gesichtet, wo sie ein Bündel von Briefwahlanträgen eintauschen wollten. Halten Sie es für normal, dass ein Stadtbürgermeister bündelweise Wahlunterlagen anfordert?
Schließlich eine Frage an Sie als Bundestagsabgeordneten der SPD: Wie schädlich ist es für unsere Demokratie, wenn Wahlen derart ins Zwielicht geraten – und sogar Partei-Protagonisten mit dem Verdacht versuchter Wahlmanipulation unmittelbar in Verbindung gebracht werden?
Die Antwort-Mail von Marcus Held wird hier im Wortlaut dokumentiert:
Guten Tag Herr Ruhmöller,
mir ist nicht bekannt, dass SPD-Mitglieder im Altenzentrum aktiv waren. Von daher kann ich das auch nicht bewerten.
Von mir wurden keine Wahllisten ausgewertet, da ich diese niemals hatte und ich habe auch keine SPD-Teams in Marsch gesetzt, um wen auch immer zu einer Teilnahme an einem Wahlgang zu drängen.
Mir ist auch nicht bekannt, dass SPD-Mitglieder telefonisch zur Teilnahme an der Wahl aufgefordert sein sollen. Da mir das nicht bekannt ist, kann ich das auch nicht bewerten.
Es ist im Übrigen völlig normal, dass Parteimitglieder und interessierte Menschen Andere zur Wahl ermutigen. Das nennt man Wahlkampf. Ich selbst habe keine Wahlunterlagen angefordert.
Offensichtlich wollen Sie mich weiter ins Zwielicht führen. Keine Überraschung für mich!
Mit freundlichen Grüßen
Marcus Held