2. Akt: Ein Maklerbüro sahnt ab
Marcus Held: Ein ganz großer Wurf
Beginnen wir unsere Rundreise zu den Skandal-Brennpunkten im Held-Städtchen Oppenheim in Krämereck-Süd. Die lokale Wohnungsbaugenossenschaft errichtet hier ein paar Wohnblöcke, die aussehen, wie Wohnungsbaugenossenschaften allerorten bauen, ein wenig eng, dafür aber Kosten sparend. Gleich nebenan gibt’s ein paar kleine feine Wohnhäuser, überwiegend in Weiß, ihr größtes Manko ist die wirklich unschöne Aussicht auf eine unendlich wirkende Mauer Trumpschen Ausmaßes. Über 250 Meter lang und sieben Meter hoch erhebt sie sich auf der anderen Straßenseite: Es ist die Rückseite der „Landskrongalerie“, wo noch fleißig gewerkelt wird. Auf rund 8500 Quadratmetern soll hier „die größte Einkaufsmeile zwischen Mainz und Worms“ entstehen, wenn wir der „Allgemeinen Zeitung“ glauben wollen, mit „Kaufland“ als Ankermieter und einer Reihe kleiner Läden. Gegenüber blieb noch ein bisschen Platz für Gewerbebetriebe, die Tankstelle an der Ecke soll bald fertig sein…
Das also ist Krämereck-Süd am Rande Oppenheims. Stadtbürgermeister Marcus Held klopft sich für all das gerne auf die Schulter und verkündet breitbrustig: „Das ist für die Stadt ein ganz großer Wurf.“
Keinen Kilometer Luftlinie entfernt, zu Fuß in gut zehn Minuten zu erreichen, steht das städtische Rathaus. Noch dichter dran, nur einen Steinwurf weit entfernt, liegt das runde Verwaltungsgebäude der Verbandsgemeinde Rhein-Selz. In den Aktenschränken dieser Behörden liegen Papiere, aus denen hervorgehen soll, dass die Stadt Oppenheim ausgerechnet im Vorzeige-Viertel Krämereck-Süd durch schwer nachvollziehbares Geschäftsgebaren ihres Stadtbürgermeisters viel, ja sogar sehr viel Geld verloren hat. Die Vorgänge sind dokumentiert auf unzähligen Seiten, und glaubt man den Fachleuten, die Einblick nehmen konnten, ist es ein Skandalstück in mehreren Akten.
Schon zum Auftakt, also weit vor Realisierung des Wohn- und Gewerbegebietes, wurden offenbar weit mehr als hunderttausend Euro städtischer Finanzen pulverisiert – ohne erkennbaren Vorteil für die Stadt Oppenheim.
Ein kostspieliger Umweg
Kurzer Rückblick: Zu Beginn dieses Jahrtausends befanden sich die Grundstücke in Krämereck-Süd noch in Privatbesitz. Es war Ackerland, billige Scholle: Die Stadt plante schon seit langer Zeit, auf diesem Gelände ein Wohn- und Gewerbegebiet auszuweisen, und unter Marcus Held wurde das auch nachdrücklich angegangen. Der Stadtbürgermeister aber wollte mehr; sein Plan: Die Stadt kauft Grund und Boden, stellt einen Bebauungsplan auf, und dann verkauft sie die Wohn- und Gewerbe-Grundstücke – natürlich mit Gewinn, die Stadt profitiert.
Auf den ersten Blick: ein guter Plan. Die Tücke liegt im Detail: Anders als ein Privatunternehmer ist der Chef einer kommunalen Verwaltung an Gremien, an Beschlüsse, an Behördenvorschriften etc. pp. gebunden. Das ist oft umständlich und macht’s manchmal nervig kompliziert, garantiert aber bestmögliche Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen.
In dem komplexen Regelwerk hat sich Held, so scheint’s, gleich zu Beginn seiner Krämereck-Süd-Aktivitäten etwas arg verheddert:
Die Oppenheimer Stadtverwaltung hätte – auch mit tatkräftiger Unterstützung der Verbandsgemeindeverwaltung – direkt mit den Grundstückseigentümern sprechen können. Dann wäre das Geschäft am einfachsten gewesen, vor allem auch relativ günstig. Doch Marcus Held machte einen Umweg, der sehr kostspielig werden sollte: Er beteiligte das Makler-Büro „G-A-J GmbH“ an den Kaufverhandlungen mit den Grundstücksbesitzern.
Die Entscheidung des Stadtbürgermeisters, ausgerechnet mit diesem Büro zusammenzuarbeiten oder es jedenfalls für seine Dienste zu entlohnen, kann man im Rückblick, freundlich ausgedrückt, nur als äußerst ungewöhnlich bezeichnen:
Denn die „G-A-J GmbH“ war bis dahin mit Immobiliengeschäften so gut wie gar nicht in Erscheinung getreten. Die „G-A-J Immobilien Vermittlungs-GmbH“, so der vollständige Name, ist im Handelsregister beim Amtsgericht Mainz unter HRB 2921 eingetragen. Die drei Buchstaben im Firmennamen sind die Initialen von Vornamen: Gesellschafter sind Anita Finck und Jutta Finck von Monts, letztere ist zusammen mit Georg Finck auch geschäftsführende Gesellschafterin des Steuerbüros „Finck und Partner“. Während das Steuerbüro über eigenständige Büros in Oppenheim verfügt („In den Weingärten“), war die Geschäftsanschrift der „G-A-J GmbH“ mit der Wohnanschrift der Eheleute Georg und Anita Finck identisch: im Baumschulweg in Oppenheim.
Die „G-A-J Immobilien-GmbH“ wurde 1983 gegründet. Sie kann jedoch – wie das Wormser Stadtmagazin „WO!“ sehr schön beschrieb –, geschäftlich nie besonders aktiv gewesen sein, was in den veröffentlichten Bilanzen nachzulesen ist und was die Vermutung nahelegt, dass es sich hier eher um ein steuerlich getriebenes Vehikel handelt. Ganz legal natürlich. Alles gut soweit.
2014 aber startete die Firma überraschend voll durch: Plötzlich schoss die Bilanzsumme, die vorher im alleruntersten fünfstelligen Bereich lag, auf 187.000 Euro hoch. Im Jahr darauf, 2015, noch einmal: 152.000 Euro. Stolze 105.000 Euro Gewinn wurden 2014 ausgewiesen!
Maklerbüro macht fette Gewinne
Was war geschehen? Ganz einfach: Die Stadt hatte die privaten Grundstücke in Krämereck-Süd nicht direkt von den Eigentümern angekauft. Vielmehr hatte sie zugelassen, dass sich die „G-A-J GmbH“ in den Deal drängte, quasi als Vermittler zwischen Stadt und Grundstückseigentümer. Dass sich die plötzlich erwachte Geschäftsmäßigkeit der zuvor schlafend wirkenden „G-A-J GmbH“ nicht mit Gefälligkeit gegenüber dem allseits so beliebten Stadtbürgermeister Marcus Held oder mit Liebe zur Heimatstadt Oppenheim begründen lässt, nun, das dürfte schnell klar sein:
184.870,80 Euro soll die „G-A-J GmbH“ innerhalb kürzester Zeit als Maklercourtage von der Stadt Oppenheim kassiert haben – so steht’s in dem anonym herausgegebenen und mit Rechnungskopien versehenen Dossier zum Oppenheim-Skandal. Vielleicht ist die Summe nicht ganz korrekt: In einem Schreiben des Rechnungshofs Rheinland-Pfalz heißt es, dass die Stadt für die Vermittlung von 14 Grundstückskaufverträgen 164.331,05 Euro gezahlt habe. Allerdings vermissten die Prüfer, als sie diese Rechnung aufmachten, noch etliche Unterlagen aus Oppenheim…
Ob nun 184.000 oder „nur“ 164.000: Es dürfte für das Maklerbüro in jedem Fall ein äußerst lohnender Deal gewesen sein. Leider wohl nicht für die Stadt, weshalb man im Rechnungshof nach Bekanntwerden der ganzen Vorgänge gute Gründe sah, die Oppenheimer Geschäfte etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Experten dieser unabhängigen Kontrollbehörde haben unlängst damit begonnen, den ganzen Krämereck-Süd-Deal auseinander zu nehmen, Blatt für Blatt.
Das erste Zwischenergebnis der Experten, in einem Wort zusammengefasst: Verheerend!
Keinen Vertrag gefunden
Beim Ankauf von Grundstücken wurden Ratsbeschlüsse nicht beachtet bzw. erst gar nicht eingeholt. Ausgaben in Millionen-Höhe ließ sich Marcus Held in ungewöhnlicher Hopplahopp-Manier genehmigen: mit Eilbeschlüssen, also in sehr kleinem Kreis; das Parlament hätte laut Gesetz unverzüglich informiert werden müssen, Held verzichtete darauf. Selbst fehlerhafte Rechnungen wurden von ihm als „sachlich und rechnerisch richtig“ abgezeichnet. Bedenken, die innerhalb der Verwaltung geäußert wurden, soll der Stadtbürgermeister einfach weggewischt haben, frei nach dem Motto: Wenn ich sage, das machen wir so, dann machen wir das so – basta!
Im Detail monierten die Rechnungsprüfer in ihrem ersten Zwischenbericht auf Grundlage der eingereichten Belege unter anderem:
- Es wurden Grundstücke zum Preis von 110 Euro pro Quadratmeter gekauft, obwohl nur 105 Euro vom Stadtrat bewilligt worden waren. Das führte in einem Fall zu nicht genehmigten Mehrkosten von rund 40.000 Euro.
- Die Rechnungsprüfer an anderer Stelle: „In den Akten fanden sich weder Eilentscheidungen des Stadtbürgermeisters noch Ratsbeschlüsse, die zum Abschluss der Verträge (Gesamtkaufpreis: 1.3833.685 Euro) ermächtigten.“
- Im Juli und Oktober 2014 ließ sich Held das Geld für weitere Grundstücksankäufe per Eilentscheidungen genehmigen – insgesamt rund 1,82 Million Euro. Solche Eilentscheidungen müssen auch von den Beigeordneten unterschrieben werden, doch im Oktober befanden sich zwei von ihnen in Urlaub. Den Rechnungsprüfern fiel das prompt auf; sie schreiben in ihrem Zwischenbericht, dass sie Auskunft darüber erwarten, wie „das Einvernehmen mit den Beigeordneten hergestellt worden ist.“
Ein schriftlicher Maklervertrag, so die Rechnungsprüfer weiter, wurde von der Stadt mit der „G-A-J GmbH“ niemals abgeschlossen – das sei „unstreitig“. Und weiter: „Ob der Bürgermeister mit der Firma einen mündlichen Maklervertrag geschlossen hat, bleibt streitig“. Und selbst wenn es einen mündlichen Vertrag gegeben haben sollte: Die Stadt hätte nach den Regelungen der Gemeindeordnung aus einem mündlichen Vertrag niemals zur Zahlung verpflichtet werden können. Ganz zu schweigen davon, so die Rechnungsprüfer weiter, dass bei etlichen Kaufentscheidungen angesichts der Höhe der Ausgaben auf jeden Fall der Stadtrat oder einer seiner Ausschüsse hätten gefragt werden müssen.
Spezielles Rechtsverständnis
Ziemlich schräg klingt ein weiterer Punkt auf der behördlichen Mängelliste, er lässt auf ein sehr spezielles Rechtsverständnis des studierten Juristen Held schließen: Vermerke des Stadtbürgermeisters ließen vermuten, so notierten die Prüfer, dass dieser offenkundig der Auffassung sei, die Makler seien zwar von den Verkäufern beauftragt, „gleichwohl sei die Stadt verpflichtet, die Maklerkosten zu übernehmen“.
Das ist nur schwer nachvollziehbar, aber so war’s wohl: Stadtbürgermeister Held glaubte offensichtlich, die Stadt müsse die Maklercourtage zahlen, obwohl die maßgebenden Kaufverträge die Stadt gerade nicht zur Übernahme der Maklerkosten verpflichteten.
Unterm Strich, so schreiben die Rechnungsprüfer schließlich, hätte die Stadt den Ankauf der Grundstücke sehr viel günstiger haben können. Zum Beispiel durch die befristete Einstellung eines Mitarbeiters in der Verwaltung der Verbandsgemeinde: Das hätte allenfalls ein Viertel der gezahlten Maklercourtage gekostet, die Stadt Oppenheim hätte also viel Geld gespart.
Dass am Ende auch noch Rechnungen falsch ausgestellt waren, dürfte angesichts des ganzen Kuddelmuddels wohl niemanden mehr wundern. „Bei stichprobenweiser Prüfung bestehen Bedenken im Hinblick auf die rechnerische Richtigkeit der Maklerrechnung“, heißt es im Bericht aus Speyer. So wurde in einem Fall eine dreiprozentige Provision aus 430.320 Euro mit 12.969,60 Euro angeben und vom Stadtbürgermeister auch abgezeichnet. War leider falsch: Korrekt hätte der Betrag nur 12.909,60 Euro ausgemacht.
Bedenken einfach weggewischt
60 Euro zu Ungunsten der Stadt: Das sind natürlich Peanuts angesichts sechsstelliger Makler-Kosten, die ohne nachvollziehbaren Grund und angeblich ohne Rechtsgrundlage ausgegeben wurden. Ein Mitarbeiter der Verbandsgemeindeverwaltung hatte dann auch eines Tages schwere Bedenken:
Er fragte deshalb bei Marcus Held nach, warum ohne schriftliche Vereinbarung so viel Geld an die „G-A-J GmbH“ zu überweisen sei. Held soll entgegnet haben, so hielt es der VG-Mitarbeiter in einer Aktennotiz fest, dass es zwar keine schriftliche, aber eine mündliche Vereinbarung gebe. Im Streitfall, soll der Bürgermeister auch gesagt haben, werde das Maklerbüro vor Gericht ganz sicher obsiegen.
Der Verwaltungsbeamte blieb weiter skeptisch. Er schlug deshalb vor, den Fall von der Kommunalaufsicht klären zu lassen. Das allerdings lehnte sein Dienstvorgesetzter, SPD-Verbandsbürgermeister Klaus Penzer, ab – ganz auf Linie mit seinem Parteifreund Marcus Held.
Und die Stadt Oppenheim bezahlte alle Makler-Rechnungen brav weiter.
Marcus Held: Habe nur Gutes für die Stadt getan
Er kann keinen Fehler erkennen. Eher im Gegenteil: „Ich habe nur Gutes für die Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger getan“, sagt Marcus Held im Gespräch gleich mehrmals. Der Ankauf der Krämereck-Süd-Grundstücke stehe dafür: Die Stadt sei massiv gedrängt worden, endlich einen Bebauungsplan zu erstellen, der schon seit Jahrzehnten im Gespräch war. „Vertrauensschutz“ hätten die Eigentümer angemahnt, weshalb er als Stadtbürgermeister die angestrebte Schaffung von Wohn- und Arbeitsplätzen in diesem Gebiet bewusst vorangetrieben habe.
Bis dahin ist alles unstrittig. Dann fing die Stadt an, die Grundstücke aufzukaufen. Und ließ zu, dass sich ein Maklerbüro dazwischen schaltete, ein total unbekanntes, unerfahrenes. Hat die Stadt, die später die Maklerrechnungen bezahlte, den Makler engagiert? Und wenn ja, warum ohne schriftlichen Vertrag?
Held sagt, alles sei ganz anders gewesen. Gleich zu Beginn habe sich ein Herr Georg Finck bei ihm gemeldet, als eine Art Sprecher der Eigentümer, und habe gesagt, dass er als Makler die Grundstücke im Namen der Eigentümer der Stadt zum Kauf anbieten wolle. „Finck kannte alle, hat alles organisiert, war auch als Makler bei den Notarterminen dabei“, so Held. Dass im Handelsregister zum Maklerbüro „G-A-J GmbH“ nur die Namen von Anita Finck (als Gesellschafterin und Geschäftsführerin) und Jutta Finck von Monts (als Gesellschafterin) auftauchen, aber nirgendwo ein Herr Georg Finck: Das sei ihm gar nicht weiter aufgefallen, sagt Held.
Solche Details zu vernachlässigen ist nicht besonders klug, aber in diesem Fall vielleicht auch nicht besonders gravierend. Dass die Stadt am Ende aber eine sechsstellige Summe an ein Maklerbüro zahlte, das sie gar nicht beauftragt hatte: Was, bittschön, soll daran gut gewesen sein? Zumal die Stadt Oppenheim doch angeblich alleiniger Kaufinteressent war: Konnten die Verkäufer der Stadt Oppenheim wirklich die Übernahme der Maklerkosten diktieren?
Der Bürgermeister bleibt dabei: „Die Eigentümer hatten Herrn Finck als Makler ausgesucht. Was sollte ich da machen?“ Wenn die Stadt die Zahlung der Maklercourtage nicht akzeptiert hätte, dann wären die Grundstücke an andere Interessenten verkauft worden.
Eben deshalb habe er Grundstücksankäufe durch die Stadt auch wiederholt mit Eilentscheidungen beschleunigt. In einem Schreiben an den Rechnungshof formuliert Held so: „Da das Angebot in der Sommerpause lag, konnte kein Ratsentscheid herbeigeführt werden. Hätte die Stadt dem Makler mitgeteilt, dass eine Entscheidung z. B. erst Ende September herbeigeführt werden kann, so hätte dieser (wie in vielen anderen Fällen auch) die Grundstücke an weitere Interessenten vergeben.“
Immer musste es ganz fix gehen, selbst mit Ausgaben in Millionenhöhe. Die Stadt, so schreibt Held an den Rechnungshof, hätte „eindeutig einen Nachteil gehabt, wenn nicht innerhalb kürzester Zeit entschieden worden wäre.“
Und im Übrigen, so lässt er wissen, sei das mit der Zahlung von Provisionen an einen Makler, den die Stadt nicht bestellt hat, doch sowieso ganz eindeutig: „Ich sehe bei jedem öffentlichen Maklerangebot zum Beispiel auf der Immo-Seite der Zeitung den Kaufpreis zuzüglich Courtage. Alles Andere wäre die Ausnahme von der Regel. Im Gesetz wurde die Übernahmeverpflichtung tatsächlich dem Auftraggeber übertragen, aber dies gilt für Mietverträge!“