Er hatte wohl gedacht, er könne die Öffentlichkeit wie einen dressierten Zirkusaffen am Gängelband durch die Manege führen: Seit über einem halben Jahr versucht Marcus Held, Missstände seiner Amtsführung mit teilweise brachialen Verbal-Ausfällen aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen. Dabei konnte er sich stets auf die Hilfestellung „seiner“ Lokalzeitung verlassen. Zuletzt setzte er alles auf eine Karte: Er gab der Redaktion den vertraulichen Berichtsentwurf des Landesrechnungshofes zur wohlmeinenden Auswertung. Das war nicht nur eindeutig rechtswidrig. Es hat auch nichts genutzt: Held hat sich verzockt.
Das kleine Oppenheim im höchsten deutschen Parlament auf der Tagesordnung: Das gibt es nicht alle Tage! Es erfüllte diesmal allerdings niemanden mit Stolz: Der Bundestag beschloss, die Immunität des Oppenheimer Stadtbürgermeisters und SPD-Bundestagsabgeordneten Marcus Held aufzuheben. Keine 24 Stunden später rückten Staatsanwälte und Kriminalbeamte in dem rheinhessischen Städtchen an und durchsuchten das Rathaus an der Merianstraße und zudem Büros von Immobilienmaklern und Steuerberatern.
Der Oppenheim-Skandal hat damit einen neuen Höhepunkt erreicht, wobei die wenigsten wissen: Die Gründe für die staatsanwaltschaftliche Aktenbeschlagnahmung machen nur einen Bruchteil des lokalen Polit-Thrillers aus. Und: Sie sind sind nicht geheim, ganz im Gegenteil:
Wer die ganzen Hintergründe der Durchsuchungsaktion verstehen will, der findet auf dieser Webseite nahezu alle Informationen: Schon Mitte des Jahres dokumentierten wir sehr ausführlich die dubiosen Geschäfte des Stadtbürgermeisters in Krämereck-Süd: „Ein Maklerbüro sahnt ab“ lautet der Bericht; er beschreibt detailliert, wie die Stadt beim Ankauf von Grundstücken in Krämereck-Süd durch die Zahlung nicht geschuldeter Maklercourtagen geschädigt wurde. Damals war noch von mindestens 184.000 Euro Provision die Rede (belegt anhand von Rechnungskopien), die Marcus Held „rechtsgrundlos“, wie die Staatsanwaltschaft heute formuliert, an ein vorher so gut wie nie in Erscheinung getretenes Maklerbüro zu Lasten der Stadt überweisen ließ. Inzwischen sollen es 205.000 Euro sein, es sind wohl noch belastende Unterlagen mehr gefunden worden.
Kleiner Auszug aus dem Bericht, der am 15. Juni auf dieser Webseite erschien:
Die Stadt hatte die privaten Grundstücke in Krämereck-Süd nicht direkt von den Eigentümern angekauft. Vielmehr hatte sie zugelassen, dass sich die „G-A-J GmbH“ in den Deal drängte, quasi als Vermittler zwischen Stadt und Grundstückseigentümer. Dass sich die plötzlich erwachte Geschäftsmäßigkeit der zuvor schlafend wirkenden „G-A-J GmbH“ nicht mit Gefälligkeit gegenüber dem allseits so beliebten Stadtbürgermeister Marcus Held oder mit Liebe zur Heimatstadt Oppenheim begründen lässt, nun, das dürfte schnell klar sein: 184.870,80 Euro soll die „G-A-J GmbH“ innerhalb kürzester Zeit als Maklercourtage von der Stadt Oppenheim kassiert haben…
Wir wollen uns hier nicht mit fremden Federn schmücken: Die eigentliche Aufdeckung der Vorgänge in Krämereck-Süd wie überhaupt des ganzen Oppenheim-Skandals ist einzig und allein unbekannten Männern und/oder Frauen zu verdanken, die Anfang dieses Jahres beweiskräftige Dokumente aus der Verwaltung der Verbandsgemeinde geschmuggelt hatten. Sie schrieben Erläuterungen dazu und verteilten die Papiere sodann an Behörden und Redaktionen in ganz Deutschland.
Das „Dossier“: Ihr Ziel sei es, so schrieben die Autoren in einem kurzen Vorwort, „Diensthandlungen und Verflechtungen von Marcus Held in seiner Eigenschaft als Amtsträger offenzulegen. Der zu Tage tretende Sachverhalt ist strafrechtlich relevant.“
Heute ist zu konstatieren, dass die Dossier-Autoren zu Recht den Finger in die Wunde des blutenden Gemeinwesens gelegt haben: Der Landesrechnungshof in Speyer und die Staatsanwaltschaft in Mainz nahmen die Darlegungen und vorgelegten Beweismittel in einer Weise auf, die alle Unkenrufe von einem trägen Staat in überraschend angenehmer Weise Lüge straft.
Abseits der behördlichen Ermittlungsvorgänge versucht Marcus Held seit Erscheinen des Dossiers, die ihm zur Last gelegten Handlungen wegzureden, die Autoren als unglaubwürdig zu diffamieren und so die Öffentlichkeit für sich einzunehmen. Erst jetzt, im Rückblick auf das letzte halbe Jahr und im beruhigenden Wissen um die juristischen Aufklärungsbemühungen, wird erkennbar, durch welche Wirrnisse und Irrwege die Oppenheimer von ihrer eigenen Stadtspitze geführt wurden. Dass es zu einer solchen spannungsgeladenen Situation in der Kleinstadt überhaupt kommen konnte, daran trägt, das muss man auch offen ansprechen, die lokale Zeitung eine gehörige Portion Mitschuld.
Die „Allgemeine Zeitung Landskrone“ hat seit Bekanntwerden des Oppenheim-Skandals die ihr obliegende Wächterrolle völlig unzureichend ausgefüllt. Marcus Held konnte, Hand in Hand mit den Lokalredakteuren, in und mit dem Lokalblatt von sich das Bild eines Politikers zeichnen, dem mit der Veröffentlichung des Dossiers größtes Unrecht angetan worden sei.
Die Journalisten bei der Zeitung recherchierten, wenn überhaupt, dann allenfalls äußerst oberflächlich. Sie hinterfragten nicht; sie gaben überwiegend nur weiter, was ihnen der Stadtbürgermeister, den sie in der Redaktion bestens kennen, er war mal ihr freier Mitarbeiter, in den Block diktierte:
Überschrift 28. März: „Jemand will mich zerstören“
Überschrift 8. April: “Bürgermeister Marcus Held kämpft gegen anonyme Anschuldigungen“
Überschrift 8. Mai: „Ich sehe da nach wie vor keinen Fehler“
Überschrift 10. Mai: „Kleine Gruppe, die mich hasst“
Die Mitleid erregende Opfer-Inszenierung war nur der Anfang. Es folgte eine unsägliche Hatz auf die Autoren des Dossiers, inszeniert vom Stadtbürgermeister selbst und Klaus Penzer, dem SPD-Bürgermeister der Verbandsgemeinde. Und wieder assistierte die AZ geflissentlich. Unvergessen der Satz in einem Kommentar, der unter der Überschrift „Am Abgrund“ die Aufdeckungsarbeit der Whistleblower als Straftat verortete, während die schwerwiegenden Verdachtsmomente gegen den Stadtbürgermeister als „Geschmäckle-Vorwürfe“ verniedlicht wurden, die, so las es sich zwischen den Zeilen, zu vernachlässigen seien, weil sich Held doch „umfänglich geäußert“ habe. Die Verniedlichungstendenzen gibt es übrigens noch immer: So wird ein Bericht vom 24. November über die Hintergründe der Razzia (die Staatsanwaltschaft spricht von „Untreue“ und „gewerbsmäßigen Betrug“) überschrieben mit “Deal mit Geschmäckle“.
Held konnte die Zeitung immer und immer wieder nutzen, sich als oberster Aufklärer angeblich falscher Vorwürfe darzustellen. „Er sei weiterhin von seiner Unschuld überzeugt“, zitierte ihn das Blatt, und er hoffe, „dass die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt nun aufklären könne, mit dem er von Anfang an sehr offen umgegangen sei“.
Dass mit der Offenheit darf bestritten werden: Warum sonst hätte die Staatsanwaltschaft jetzt in einer Aufsehen erregenden Aktion etliche Ordner aus dem Rathaus holen müssen, um die Vorgänge in Krämereck-Süd endlich zweifelsfrei aufklären zu können? Nein, Held spielt, der Ruf eilt ihm voraus, eigentlich nie richtig offen und ist auch keineswegs transparent, selbst wenn er das gern und laut für sich in Anspruch nimmt. Aber warum sollte er auch Offenheit zeigen? Die Vierte Gewalt vor Ort, die Lokalredaktion, beschränkt sich selbst auf die wohlwollende Begleitung seiner Arbeit: Eine kritische Auseinandersetzung mit den Vorgängen in Krämerweck-Süd? Ein interessiertes Nachfragen bei den Maklern bzw. Grundstücksverkäufern? Eine distanzierte Analyse der Dossier-Darlegungen wie auch der rabaukenhaften Held-Reaktionen, der sich nicht scheute, seinen Kritikern öffentlich „kriminelle Energie“ vorzuwerfen?
In der Zeitung: Fehlanzeige.
Es hat Held jedoch nichts genutzt. Als er jetzt den Berichtsentwurf des Landesrechnungshofes vor sich sah, 80 Seiten mit teils harschen Vorwürfen, die eines Tages ohne seine Kontrolle in den Medien publiziert werden könnten, da zog er seinen letzten Trumpf: Er übergab der AZ-Redaktion das Dossier zur wohlmeinenden Aufarbeitung.
Es wirkte schon irgendwie naiv-putzig, wie die „Allgemeine Zeitung“ ihren Top-Informanten anfangs zu schützen versuchte. Im ersten Bericht, der kleinere Details aus dem Rechnungshofbericht nannte, umschrieb der Lokalredakteur seine Quelle so:
„Diese Zeitung konnte mit Personen (auch aus der Landespolitik) sprechen, die Teile des Entwurfs gesehen haben.“
Der Redakteur zitierte auch „Experten“ und „Insider“, deren Namen er allerdings nicht verriet: Diese Fachleute, so behauptete er, sähen in der Kritik des Rechnungshofes einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung.
Spätestens diese absurde Überlegung erlaubte den Schluss, dass in Wahrheit keine Experten informierten, sondern dass die Quelle im Umfeld der Oppenheimer Stadtspitze zu suchen sei. Tatsächlich gab die Zeitung schon in der nächsten Ausgabe den Namen ihres Informanten preis: Stadtbürgermeister Marcus Held habe „auf Nachfrage einen ersten Teil des Prüfberichts vorgelegt – samt den Anmerkungen von Stadt und Verbandsgemeinde“.
Dass Held mit der Herausgabe des Rechnungshofberichts seinen eigenen Stadtrat aufs Übelste brüskiert, dem er trotz aller Anträge und Bitten eine Herausgabe der Unterlagen bis zuletzt verwehrt hat: Das war der Zeitung, wenig überraschend, kein größeres Thema wert.
Vielmehr zitierte sie über Tage hinweg häppchenweise aus dem Entwurf der Prüfmitteilungen, stets ergänzt um Helds Anmerkungen, die er als Stellungnahme „der Stadt“ ausgibt. Unterm Strich: eine parteiische Berichterstattung mit einem Informationswert nahe Null. Dass die AZ sich dafür hergibt, kreiden ihr inzwischen immer mehr Leser an: Das verrät ein Blick in die Kommentarspalten auf Facebook wie auch auf dieser Webseite.
Was ist am Ende dabei herumgekommen? Marcus Held hat im Stadtrat, vor allem aber in der Bürgerschaft seiner Stadt den letzten Funken Glaubwürdigkeit eingebüßt. Gut, die Zeitung hat weitgehend brav und in seinem Sinne berichtet; am Ende aber kam sie nicht umhin, einige unangenehme Wahrheiten der Rechnungsprüfer zu nennen: „Alle Bereiche“ seien „einer ernsthaften Aufgabenkritik zu unterziehen“, es drohe der Stadt die „Überschuldung“.
Marcus Held hat sich verzockt – auch noch aus einem anderen Grund, dessen Folgen für ihn noch nicht abzusehen sind:
Mit der Weitergabe der Unterlagen an die Zeitung hat er sich erneut rechtswidrig verhalten. Der Landesrechnungshof hatte vor kurzem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Entwurf der Prüfmitteilungen urheberrechtlich geschützt sei. Auf der Umschlagseite ist deshalb extra vermerkt:
„Dieser Entwurf der Prüfungsmitteilungen des Rechnungshofs Rheinland-Pfalz ist urheberrechtlich geschützt. Eine Veröffentlichung ist nicht zulässig. Eine Weitergabe an Dritte ist nur bei dienstlicher Notwendigkeit gestattet.“
An die Mitglieder des Stadtrates hätte Held die Prüfmitteilungen auch im heutigen Entwurfsstadium ohne Probleme weitergeben können: Das hat der Rechnungshof ausdrücklich erlaubt.
Eine Weitergabe an eine Zeitung war jedoch ausdrücklich nicht erlaubt. Das hätte Marcus Held, der gerne darauf verweist, eine juristische Ausbildung genossen zu haben, eigentlich wissen müssen. Es bleibt abzuwarten, wie der Landesrechnungshof mit dieser öffentlichen Zurschaustellung unverhohlener Missachtung durch Oppenheims Stadtbürgermeister umgeht.