Vor rund 20 Zuhörern und nur noch einer Handvoll Medienvertretern ist im Verfahren gegen Marcus Held das Urteil gesprochen worden. Das Gesicht hinter einer FFP2-Maske verborgen, nahm der frühere Oppenheimer Stadtbürgermeister den Richterspruch und die zweistündige Verlesung der Urteilsbegründung nahezu regungslos entgegen: Wegen Untreue und Bestechlichkeit wurde gegen ihn eine Haftstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verhängt, ausgesetzt zur Bewährung auf 2 Jahre. Außerdem hat er 10.000 Euro Geldstraße an den Verein „Kikam“ in Mainz zu zahlen.
Diese Strafe klingt auf dem ersten Blick gering, vor allem auch angesichts der Vielzahl der Vorwürfe, die zu den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen geführt hatten, und der mehr als vierjährigen Dauer des Verfahrens. Gleichwohl dürfte das Urteil dem Mann weh tun, wird es doch weitreichende Konsequenzen für den Mann haben. Im juristisch angehauchten Terminus liest sich das so:
Es gilt Paragraf 26 des Abgeordnetengesetzes, der auf Paragraf 59 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) verweist: Danach verliert ein Abgeordneter/Beamter seine Versorgungsbezüge, wenn er wegen einer Tat verurteilt wird, die nach Paragraf 41 Absatz 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) zum Verlust der Beamtenrechte geführt hätte.
Dieser Paragraf 41 Absatz 1 BBG ordnet die Beendigung des Beamtenverhältnisses bei Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr an. Das gilt laut Bundesverwaltungsgericht auch dann, wenn die Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist (BVerwGE 93, 179, 185). Bei Verurteilung wegen Bestechlichkeit genügt sogar eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten (Paragraf 41 Abs. 1 Nr. 2 BBG).
Noch kann Marcus Held gegen das Urteil in Revision gehen – wie natürlich auch die Staatsanwaltschaft. Sollte das Urteil Rechtskraft erlangen, werden Marcus Held alle Versorgungsbezüge gestrichen – nicht nur aus seiner Zeit als Stadtbürgermeister, sondern auch als Bundestagsabgeordneter.
Und dabei wird es nicht bleiben: Die Stadt Oppenheim behält sich Schadensersatzklagen vor. Die Rede ist von einem mittleren sechsstelligen Betrag.
Und auch die SPD könnte die Hand aufhalten: Sie muss die Parteispenden, die der Makler im Gegenzug für jede erhaltene Courtage an die SPD überwiesen hatte, an das Bundestagspräsidium abgeben – plus ein Bußgeld in dreifacher Höhe, macht insgesamt deutlich über 50.000 Euro.
Hinzu kommen die Kosten der Verteidigung- und Gerichtskosten. Die von ihm gewählten Rechtsanwälte gelten als hochqualifiziert, aber auch entsprechend teuer; bei 26 Verhandlungstagen dürften sich die Kosten mindestens im oberen fünfstelligen, wenn nicht sogar im sechsstelligen Bereich bewegen.
Richter im Urteil: "Entwirrung eines Verwirrspiels"
Das Urteil fand bundesweit Beachtung. Auszüge aus einigen Berichten:
Der Spiegel: „Als Bürgermeister von Oppenheim bezahlte Marcus Held ohne Wissen des Stadtrats Maklercourtagen mit städtischem Geld. Ein Gericht verhängte gegen den Ex-SPD-Bundestagsabgeordneten jetzt eine Bewährungsstrafe.“
FAZ: „Marcus Held sei der Bestechlichkeit in vier Fällen und der Untreue in zwölf Fällen schuldig, sagt der Vorsitzende Richter. Dabei geht es zumeist um Untreue zum Nachteil der Stadt Oppenheim.“ Das Blatt schreibt auch: „,Wir halten das Urteil im Ergebnis für falsch‘, sagte Helds Verteidigerin Ute Bottmann. Die Verteidigung werde das Urteil genau prüfen, sobald es schriftlich vorliege, und dann über eine Revision beim Bundesgerichtshof entscheiden.
SWR: „Der 44-Jährige wurde zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Zudem muss er eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro an den Verein KIKAM bezahlen. Der Verein setzt sich für die Versorgung schwerkranker Kinder auf der Intensivstation und der Kinder-Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz ein. Das Urteil ist für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.“ In einem im Internet veröffentlichten Bericht heißt es: „Der Vorsitzende Richter sagte, dass Held bis in die Beweisaufnahme hinein ein Verwirrspiel inszeniert habe. Er habe beschlossen, den Makler einzuschalten – ohne Ermächtigung des Rates und ohne Haushaltsmittel.“
Die Online-Plattform „Legal Tribune Online“ schreibt: „14 Jahre war er Bürgermeister von Oppenheim, acht Jahre saß er außerdem für die SPD im Bundestag. Nun entschied das LG Mainz, dass Marcus Held der Untreue und Bestechlichkeit schuldig ist.“ Weiter heißt es in dem Text: „,Das Urteil ergeht nach einer lang andauernden und langwierigen Beweisaufnahme‘, sagte der Richter am 26. Verhandlungstag. Dabei seien vom Angeklagten und seinen Verteidigern ,etliche Nebelkerzen gezündet‘ worden, ,die entdeckt und gelöscht werden mussten‘. Richter Eckert sprach von der ,Entwirrung eines Verwirrspiels, das in Oppenheim vor zehn Jahren seinen Ausgang genommen hat‘.“
Die Zeitung „Rheinpfalz„: „Held wurde für schuldig befunden, die Stadtkasse bei der Zahlung von nicht erforderlichen und nicht vom Stadtrat bewilligten Maklergebühren um 172.250 Euro geschädigt zu haben. Mit dem Makler soll er im Gegenzug die Zahlung von Spenden in Höhe von zehn Prozent der Provisionen verabredet haben. Die nach dem Parteiengesetz verbotenen Spenden müssten in dreifacher Höhe an das Bundestagspräsidium gezahlt werden, sagte Richter Eckert.“
Der Richter: Makler reichte 10 Prozent seiner Courtage an SPD weiter
Die Mainzer Staatsanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen gegen Marcus Held im Juli 2017 aufgenommen. Ausgangspunkt war eine anonyme Strafanzeige, die im Februar 2017 eingegangen war. Ihr lag das „Memorandum“ bei, ein von unbekannten Autoren erstelltes Dossier mit amtlichen Dokumenten: Danach sollte sich Held der Untreue (§ 266 Strafgesetzbuch), des Subventionsbetruges (§ 264 Strafgesetzbuch) und der Bestechlichkeit (§ 332 Strafgesetzbuch) strafbar gemacht haben.
Nach zweijähriger Ermittlungsarbeit wurde im Juli 2019 die Anklage erhoben: wegen Untreue und Betruges, der Bestechung und Bestechlichkeit bzw. der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung sowie des Verstoßes gegen das Parteiengesetz.
Das Landgericht benötigte ein weiteres Jahr, um im Juli 2020 mitzuteilen: Held wie auch zwei Verantwortliche eines Maklerunternehmens müssten sich „im Hinblick auf die Vorwürfe der Untreue, des Betruges, der Bestechung und Bestechlichkeit im Zusammenhang mit der Veräußerung von Grundstücken im Baugebiet ,Krämereck-Süd‘ der Stadt Oppenheim sowie in diesem Zusammenhang getätigter und angenommener Spenden verantworten.“
Bei den zwei Verantwortlichen eines Maklerunternehmens handelt sich um ein älteres Ehepaar: Er ist früher ein stadtbekannter Steuerberater gewesen, der als Makler nie in Erscheinung getreten war, sie ist seine Ehefrau, die ihren Namen bei einer Firmengründung hergegeben hatte. Die 81-Jährige konnte das Verfahren relativ schnell verlassen; ihr heute 84-Jähriger Ehemann durfte kurz vor Prozessende gehen – gegen Zahlung von 50.000 Euro an eine gemeinnützige Organisation.
Insgesamt 172.250 Euro hatte das Maklerbüro von Held aus der Stadtkasse bekommen – unrechtmäßig, wie das Gericht jetzt feststellte.Von dem Geld seien im Rahmen einer Unrechtsvereinbarung rund 17.600 Euro an die SPD geflossen. Eine weitere Spende über 7000 Euro war zuvor von Held an den Makler gezahlt worden, sie soll als Parteispende zulässig gewesen sein.
In seiner Urteilsbegründung zeigte der Richter ausführlich auf, wie der Steuerberater als Makler fungiert hatte (was im Oppenheim-Skandal-Blog im wesentlichen bereits 2017 im Bericht „Ein Maklerbüro sahnt ab“ beschrieben worden war): Die Stadt hatte die Ackerflächen ankaufen wollen, um ein Wohn- und Gewerbegebiet zu planen. Eigentlich war es überflüssig, einen Makler einzuschalten: Die Grundstückseigentümer waren bereit, an die Stadt zu verkaufen.
So beschränkte sich die Arbeit des Maklers in mehreren Fällen auf wenige Telefonate oder E-Mails. Der Richter sprach von „Sekretariatsdienste für Kleinkram“, was den Makler nicht abhielt, Rechnungen an Marcus Held zu schicken. Der ordnete die Bezahlung an – anschließend, so heißt es im Urteil, bekam die SPD von dem Makler 10 Prozent des Rechnungsbetrages als Spende überwiesen.
Bei der Verwaltung der Verbandsgemeinde, die für die Überweisung der Gelder zuständig war, regte sich anfangs Widerspruch: Ein Beamter monierte, für Maklercourtagen gebe dafür keine Grundlage. Doch Held setzte die Zahlungen durch – auch mit Rückendeckung von Klaus Penzer, seinem Parteifreund und Chef der VG-Verwaltung. Der Richter sprach davon, dass Held die Verbandsgemeinde belogen habe, um die Zahlungen plausibel zu machen.
Held hatte den Einsatz des Maklers im Laufe des Verfahrens wiederholt begründet, er hätte seinerzeit schnell handeln müssen: Sonst hätten andere Interessenten die Grundstücke gekauft. Das nahm ihm der Richter nicht ab: Für eine Eilbedürftigkeit habe die umfangreiche Zeugenbefragung keine Hinweise gegeben.
Held hatte seinerzeit die Maklercourtage ohne Wissen seines Stadtrates vereinbart. Um die Zahlungen zu verheimlichen, traf er sogenannte „Eilentscheidungen“. Die aber waren nicht zulässig, wie der Richter in aller Deutlichkeit darstellte. Als Volljurist mit ausgiebiger Praxiserfahrung als langjähriger Stadtbürgermeister und ehemaliger Mitarbeiter der Verbandsgemeinde sei davon auszugehen, dass Held die sehr engen Anwendungsmöglichkeiten einer Eilentscheidung gekannt hat – und sie hier vorsätzlich instrumentalisiert habe, um den Stadtrat zu hintergehen.
Held hatte auch beteuert, er habe stets im Interesse der Stadt gehandelt: Weil er die Planung und Realisierung des Baugebietes mit Wohnhäusern und Gewerbe so konsequent durchgezogen habe, habe die Stadt heute hohe Mehreinnahmen bei der Steuer verzeichnen können.
Diese Zahlen dürften eher dem Wunschdenken entsprungen sein. Berechnungen der Verbandsverwaltung ergaben, dass die Mehreinnahmen sehr gering ausfallen. Aber selbst wenn die Einnahmen höher ausgefallen wären: Als Entschuldigung für Helds Vorgehen können sie in keinem Fall herhalten, wie der Richter erklärte.
Update am 30. Dezember: Marcus Held geht in Revision
Wie die Pressestelle des Landgerichts mitteilt, hat die Verteidigung von Marcus Held Revision gegen das Urteil eingelegt. Jetzt werden – anders als bei der Berufung – nicht noch einmal die tatsächlichen Umstände des Falles untersucht: Vielmehr muss das Urteil auf Rechtsfehler überprüft werden. Die Revisionseinlegung war innerhalb eine Woche nach Verkündung des Urteils möglich, Helds Antrag ging kurz vor Ablauf der Frist ein. Die Staatsanwaltschaft hat das Urteil akzeptiert.
Im nächsten Schritt wird das Landgericht das Urteil schriftlich vorlegen. Sobald es dann zugestellt wurde, hat die Verteidigung einen Monat Zeit, ihren Antrag auf Revision zu begründen.
Das Revisionsverfahren würde vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe stattfinden.