Kosten-Explosion bei Gradinger-Abbruch

Marcus Held hat derzeit keinen guten Lauf. Um ihn herum: nichts als Probleme. Die Prüfer beim Landesrechnungshof in Speyer durchleuchten seit Wochen Berge von Akten aus dem Oppenheimer Rathaus. Die Staatsanwaltschaft in Mainz ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts der mehrfachen Untreue. Kriminalbeamte ziehen durch die kleine Stadt und versuchen, die Hintergründe diverser Held-Geschäfte aufzudecken. Unlängst gab Bundestagspräsident Norbert Lammert dem Stadtbürgermeister deshalb einen Korb: Er vertagte kurzfristig die von Held geplante Auszeichnung zum Weinritter auf den St.-Nimmerleins-Tag…

Und jetzt auch noch das: Die Kosten für den Abriss des Gradinger-Möbelhauses in der Vorstadt sind regelrecht explodiert! Sie sind dramatisch angestiegen – wobei die Schlussabrechnung wohl noch gar nicht vorliegt!

Wie konnte das nur passieren?

Am kommenden Dienstag (15.08.) tagt ab 19 Uhr das Stadtparlament im Rathaus an der Merianstrasse. Dann wird Marcus Held die Wahrheit sagen müssen: dass die Kosten für den Abbruch des alten Möbelhauses am Kauzbrunnenweg um mehrere Hunderttausend Euro über dem ursprünglichen Kostenplan liegen, Stand April dieses Jahres. Vermutlich wird’s auch noch teurer.

491.827 Euro sollte der Abbruch ursprünglich kosten, zuzüglich Mehrwertsteuer, also rund 590.000 Euro. Dieses Angebot hatte die Firma Witera aus Bürstadt im Herbst letzten Jahres im Oppenheimer Rathaus eingereicht. Insgesamt 19 Unternehmen hatten geboten, Held präsentierte dem Stadtrat nur sieben, der teuerste verlangte 1,5 Millionen, natürlich zzgl. Mehrwertsteuer. Die kleine AL-Fraktion hakte damals nach und wollte wissen, wie der Preisunterschied zu erklären sei. Es gab keine Antwort, nur eine schnelle Abstimmung: Witera bekam, dank der SPD-Mehrheit im Stadtrat, den Zuschlag.

Seither schickt das Unternehmen eine Rechnung nach der anderen an Marcus Held. Inzwischen summieren sich die zusätzlichen Kosten auf über 300.000 Euro. Beim Abbruch, so begründet Witera stets, seien Probleme aufgetaucht, die zum Zeitpunkt der Ausschreibung nicht bekannt gewesen seien. Im Einzelnen handelt es sich um diese Forderungen:

26.Oktober 2016

6.672,33 Euro verlangt die Firma für die Beseitigung von Taubenkot. Auf einem Papier, das dem Stadtrat am Dienstag vorgelegt werden soll, heißt es dazu, der Taubenkot sei zum Zeitpunkt der Ausschreibung „nicht vorhanden/nicht erkennbar“ gewesen.

24. Januar 2017:

5.319,69 Euro kostete das Verfüllen eines Brunnens und der Rückbau eines Schachts. „Der Brunnen war zum Zeitpunkt der Ausschreibung nicht bekannt.“

13. Februar 2017:

11.449,82 Euro wurden benötigt, weil ein Heizöltank „in einem unbekannten Keller“ gefunden wurde. Die Kosten entstanden durch Entleeren, Stilllegen, Demontieren und Entsorgen des Tanks, zudem musste die Grube gesichert werden.

16.204,04 Euro stellte Witera zusätzlich für den Rückbau und die Entsorgung einer vierlagigen teerhaltigen Dachbahn in Rechnung. „Aufgrund der Einbausituation zwischen der Holzeindeckung und der Asbest-Welleternit-Eindeckung auf dem Kerngebäude konnte die Dachbahn zum Zeitpunkt der Erstellung des Schadstoffgutachtens nicht erfasst werden, sondern war erst im Zuge der Abbrucharbeiten zu erkennen.“

10.851,49 Euro fielen für „Sicherungsmaßnahmen“ an.

6.416,69 Euro kostete das Entfernen und Entsorgen zusätzlicher Bauteile und Leerräumen verfüllter Hohlräume.

22. März 2017

205.394,00 Euro stellte Witera in Rechnung für „Aussortieren, Aussieben und Entsorgen von belastetem Ziegelbauschutt“. Es habe sich um schwarze Korkdämmung im Zwischenraum der beiden Außenwandscheiben gehandelt: „Aufgrund der Einbausituation konnte das Material zum Zeitpunkt der Erstellung des Schadstoffgutachtens nicht erfasst werden.“

13. April 2017

6.430,25 Euro kostete die Sanierung eines mit Asbestbruch verfüllten Hohlraums.

Macht zusammen laut Ratsvorlage exakt 267.738,31 Euro. Pauschal wurden 35.000 Euro als weitere Nebenkosten draufgeschlagen: Unterm Strich ergibt das eine Summe von 302.738,31 Euro, die von der Stadt Oppenheim zu zahlen ist.

Jetzt sollen die Stadtratsmitglieder der Kostenexplosion ihren Segen geben: Sie sollen die „überplanmäßigen Haushaltsausgaben“ genehmigen, damit Marcus Held die Witera-Rechnungen freigeben kann. Die Kommunalpolitiker können dabei davon auszugehen, dass es nicht die letzte Rechnung sein dürfte, die ihnen im Zusammenhang mit dem Gradinger-Komplex serviert wird. Erst vor wenigen Wochen schrieb die „Allgemeine Zeitung“, dass ein bisher nicht bekannter Hohlraum aufgebrochen sei, „der sich umgehend mit einem Gemisch aus Öl und Schlamm füllte. Zunächst wurden Schutzdämme gezogen…“ Der Kreis Mainz-Bingen sei als Untere Wasserbehörde verständigt worden. Die AZ weiter: „Welche Auswirkungen das auf Kosten und Zeitplan hat, ist noch nicht klar.“ Wenn die AZ nicht eine veraltete Geschichte aufgefrischt haben sollte, dürfte die Stadt also mindestens eine weitere Witera-Rechnung zu erwarten haben.

Noch ist unklar, wie die Kosten derart aus dem Ruder laufen konnten. Vor den Abbrucharbeiten war extra das Planungsbüro GSW Worms eingeschaltet worden: Das hatte die Abrisskosten sehr präzise mit 523.290,60 Euro beziffert. Warum lagen die Experten derart daneben? Hätten sie nicht etwas genauer hinschauen müssen, um zu einer realistischeren Kalkulation zu kommen?

Auf Klärung wartet auch noch, was die anonymen Autoren des „Memorandums“, das zur Aufdeckung des Oppenheim-Skandals führte, zum Thema Gradinger geschrieben haben: 19 Firmen hatten sich um die Abbrucharbeiten beworben. Marcus Held ließ aus den Unterlagen zwölf Bieter herausstreichen und unterbreitete dem Stadtrat eine Beschlussvorlage, auf der nur noch sieben Firmen standen. Er habe damit, so schreiben die Dossier-Autoren, „in das Vergabeverfahren manipulativ und vergaberechtswidrig eingegriffen“, es bestehe der Verdacht, dass die Stadt einen Vermögensnachteil erlitten habe. Das wäre strafrechtlich relevant, „auch hier könnte wieder § 266 der Strafgesetzbuches greifen“. Das ist der Untreue-Paragraf, der die Staatsanwaltschaft bereits tätig werden ließ, in neun anderen Held-Geschäften.

Der Stadtbürgermeister beteuert seither unermüdlich, dass der Stadt mit dem Gradinger-Deal überhaupt kein Schaden entstanden sei und auch niemals entstehen könne: Er habe bereits einen Kaufvertrag mit der Gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft GWG abgeschlossen, die alle Kosten übernehmen müsse und eines Tages das Grundstück bebauen werde.

Der Chef der GWG, der sich den klangvollen Titel „Vorstandsvorsitzender“ gegeben hat, ist bekannt: Marcus Held.

Die GWG hat einen Aufsichtsrat, der aufpassen soll, dass die Geschäfte der Gesellschaft ordentlich geführt werden. Vorsitzender des Aufsichtsrates ist Klaus Waldschmidt, ein treuer SPD-Gefährte, der Marcus Held im lokalen SPD-Kompetenzteam zur Seite steht. Stellvertretender Vorsitzender des GWG-Aufsichtsrates ist Rudi Baumgarten, ebenfalls SPD, der als freiberuflicher Stadtplaner in Oppenheim („plangUT“) von Marcus Held regelmäßig mit Aufträgen bedacht wird, der als Makler städtischer Grundstücke abkassiert…

Die so geführte und beaufsichtigte GWG zahlt laut Kaufvertrag für das Gradinger-Grundstück 972.740 Euro an die Stadt – erst einmal. In diesem vorläufigen Preis sind enthalten:

  • 580.000 Euro Kaufpreis (diese Summe hatte die Stadt an den inzwischen verstorbenen Horst Gradinger gezahlt)
  • 34.500 Euro Maklercourtage (Marcus Held hatte diesen Betrag ohne Ratsbeschluss an das Maklerbüro von Oppenheims Ehrenbürger Menger überweisen lassen, was derzeit der Rechnungshof prüft und eventuell noch die Staatsanwaltschaft beschäftigen könnte)
  • 43.500 Euro Notar- und sonstige Nebenkosten
  • 295.000 Euro Abbruchkosten (50 Prozent von 590.000 Euro, die andere Hälfte zahlt angeblich das Land)
  • 19.500 Euro Kosten der Zwischenfinanzierung.

Sodann gibt’s im Kaufvertrag noch einen Zusatz: Einzelne Kaufpreisbestandteile – darunter die Abbruchkosten – seien variabel, sie könnten sich reduzieren oder erhöhen, entscheidend sei die Endabrechnung. Dem Notar war diese Vereinbarung, die sehr teuer für den Käufer werden kann, wohl suspekt, weshalb er in den Kaufvertrag diesen Satz einbaute: „Trotz Belehrung durch den Notar verzichten die Vertragsbeteiligten auf eine weitere Konkretisierung der Bestimmbarkeit des Kaufpreises, insbesondere ist ausdrücklich nicht die Aufnahme einer Kaufpreisobergrenze gewünscht.“

Das heißt: Die GWG wird am Ende alles zahlen müssen. Alles! Angesichts der Kostenexplosion beim Abriss drängt sich natürlich die Frage auf, ob der geplante Neubau wirtschaftlich überhaupt noch vernünftig realisierbar ist: 44 Wohnungen sollen in einem viergeschossigen Mehrfamilienhaus geschaffen werden. Ein paar der Wohnungen sollen verkauft, die anderen, das betont Held immer wieder, sollen preisgünstig vermietet werden. Die Gesamtkosten wurden mit 6,73 Millionen Euro veranschlagt – vor zwei Jahren.

Das Projekt, sagte Held zuletzt im März dieses Jahres, sei „finanziell ganz eng auf Kante genäht“. Da lagen die wahren Abbruchkosten noch gar nicht auf dem Tisch. Ob die vor zwei Jahren geschätzten Kosten für den geplanten Neubau heute noch zu halten sind: Das ist derzeit völlig offen.

Das Gradinger-Objekt könnte also zu einem ernsthaften Problemfall werden. Nicht nur für Oppenheims Stadtbürgermeister. Sondern auch für den GWG-Vorstandsvorsitzenden. Und vielleicht sogar für die ganze GWG.

1 Kommentar zu „Kosten-Explosion bei Gradinger-Abbruch“

  1. Hallo Herr Ruhmöller
    Danke das Sie das Thema Gradinger Abriss angesprochen haben, ich habe mich seit längerem schon gefragt wie die Kosten da gehalten werden können.
    Einige Anwohner (Vorstadt) und ich waren damals bei der Stadtratsitzung anwesend, nachdem wir unsere Bedenken geäußert hatten was den Abriss betraf wollte die CDU den Entschluss vertragen.
    Uns wurde versichert ein ausreichendes Schadstoffgutachten wäre erstellt worden.
    Die Bedenken wegen des Lärm’s wurden vom Tisch gewischt mit den Worten „wir sollten uns nicht so anstellen, wo gebaut wird gibt es eben Dreck und lärm“.
    Dann kam der Termin mit der Abrissfirma für die Anwohner, auch da wurden unsere Bedenken unter den Tisch gekehrt.
    Dieses Verhalten brachte mich dann dazu das Umweltamt, Gewerbeaufsicht und das Bauamt einzuschalten, diese waren sehr froh darüber das wenigstens ein Anwohner die Baumaßnahme anmeldete. Der Abriss war zwar nicht Genehmigungspflichtig aber Anmeldepflichtig. Das die GWG so einen Vertrag unterzeichnet hat kann nur einen Grund haben.
    Herr Held hatte damals gegenüber der AZ geäußert das die Stadt keinen Cent bei diesem Unternehmen drauflegen muss „nötigenfalls zahle er es aus seinem Privatvermögen“
    M.H.

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