Am Montag dieser Woche wurde Marcus Held vom Landgericht verurteilt. Stunden später hing ein Plakat vor dem Rathaus, es zeigte ein Held-Porträt hinter aufgemalten Gitterstäben und die Aufschrift: „Verurteilt“. Noch am gleichen Tag ging’s los: Selbst ernannte Gutmenschen und unverdrossene Held-Getreue trompeten seither durchs Internet, Marcus Held habe eine zweite Chance verdient. Sie verlangen mehr Mitleid und Entgegenkommen für den ehemaligen Stadtbürgermeister von Oppenheim:
Weil er „ohnehin medial stark gebeutelt sei“, solle man ihn jetzt nicht weiter mit Vorwürfen traktieren. Wer Freude zeige angesichts der 20-monatigen Bewährungsstrafe, betreibe „eine Hetzjagd“, und das habe der Mann nun wirklich nicht verdient, zumal das Utreil noch nicht rechtskräftig sei. Und weiter: „Die Würde des Menschen ist unantastbar und auch Marcus Held hat eine zweite Chance verdient“.
Hinter diesen absonderlich klingenden Forderungen steckt der „Verein zur Förderung sozial und gesundheitlich benachteiligter Menschen“, der beim Amtsgericht Mainz gemeldet ist und über eine Webseite mit dem etwas griffigeren Namen „Rheinhessen hilft“ fleißig Spendengelder einzusammeln versucht. Vorsitzende sind Marcio und Marlon Demel, als Vereinssitz geben sie die Südstraße 2 in Mainz an. Da betrieb Marlon Demel mal eine Treuetest-Agentur und auch eine Praxis für Suchtberatung.
So sieht’s dann also heute aus: Ein Ex-Treue-Tester wird zum Spenden sammelnden Rheinhessen-Helfer und springt jetzt einem abgestürzten Skandal-Politiker bei. Ob Marcus Held weiß, wer ihm da neuerdings alles zur Seite steht?
Es gibt etliche solcher Stimmen. „Ich glaube, es reicht jetzt“, schreibt eine Frau in der Facebookgruppe „Wir in Oppenheim“. „Ich denke, er ist mit der Situation für seine Familie genug gestraft. Einmal muss Schluss sein.“ Sie bekommt Zustimmung von einer anderen Frau: „Das sehe ich genauso, diese Hetze in Oppenheim, schlimm.“
Ein Facebook-User toppt alle Pro-Held-Action im Netz: „Wenn er Fehler gemacht hat muss er dafür gerade stehen. Aber mit Würde und vor Gericht. Die Kommentare zu ihm in den sozialen Medien sind asozial. Solidarität mit Markus Held.“
Solidarität mit Held – ernsthaft? Wer solche Forderungen erhebt, darf sicher als politischer Querdenker eingeordnet werden. Im besten Fall weiß er nicht, was der Mann angerichtet hat. Im schlimmsten Fall setzt er auf die Vergesslichkeit der Menschen und hofft, dass bald alles wieder so wird wie vor der Oppenheimer Wende. Einer befiehlt, alle müssen parieren. Es gab immer schon Leute, die das erstrebenswert fanden.
Zweite Chance? Da haben wir vorher noch einige Erwartungen
Dass Held eine zweite Chance bekommen soll: Dagegen ist grundsätzlich ja gar nichts einzuwenden. Aber! Es gibt ein ganz großes Aber:
Bevor Marcus Held und sein jahrelanges Treiben dem öffentlichen Vergessen anheim zu geben ist, weil er wie jeder andere eine zweite Chance verdient hat (aber bitte nur beruflich, niemals wieder als Politiker!), also vorher haben wir dann doch noch einige Erwartungen an den Mann:
Zuallererst sollte er mal zu seinen Taten stehen. Und zwar ohne Einschränkungen. Er dürfte ja hoffentlich inzwischen selbst erkannt haben, dass er ganz schön viel – freundlich ausgedrückt – Mist gebaut hat. Dass er sich dazu bis heute nicht öffentlich bekannt hat, wirkt wie die Potenzierung seiner Schuld.
Und dann, nächster Schritt, muss er sich bei einigen Leuten melden. Die Liste ist lang, da muss er durch, er hat’s schließlich selbst verbockt: Marcus Held muss sich entschuldigen…
- bei allen Bürgern der Stadt Oppenheim Oppenheim, denen er mit seiner rücksichtslosen und verschwenderischen Stadtführung – Beispiele genug nennt der Bericht des Landesrechnungshofes – einen enorm großen Schaden zugefügt hat;
- bei allen Menschen, die er mit seinem spalterischen Agieren aus der Stadtgesellschaft ausgegrenzt hat, nur weil sie nicht bereit waren, ihm kritiklos zu folgen;
- bei allen Menschen, denen in seiner Amtszeit Schaden zugefügt wurde, natürlich nicht durch ihn persönlich, aber durch willfährige Handlanger aus seinem Umfeld: In Reaktion auf seine Hetzreden gab es Sachbeschädigungen und sogar körperliche Gewalt, der Stadtbürgermeister schwieg dazu, bekundete niemals Mitgefühl mit den Betroffenen;
- bei den parteipolitischen Konkurrenten im Stadtparlament – allen voran die AL –, die er immer wieder öffentlich diskreditiert und schlecht gemacht hat;
- beim ganzen Stadtparlament, dessen Mitglieder er mit Lügen und Tricksereien hintergangen und denen er zentrale und auch kostenträchtige Entscheidungen vorenthalten hat;
- bei der Katharinenkirche und ihren Gläubigen, deren Altarraum er zur Weihnachtszeit 2017 für dumpfe Politpropaganda missbraucht hat;
- bei allen ehrlichen, ehrbaren SPD-Mitgliedern, die ihm stets ihr volles Vertrauen geschenkt haben, was er dann zu seinem eigenen Vorteil ausschlachtete;
- bei den Mitarbeitern der Verwaltung der Verbandsgemeinde, die er – wie jetzt im Urteil bestätigt – mit Falschaussagen und Lügen dazu nötigte, gegen Vorschriften zu handeln und damit auch zum Nachteil der Steuerzahler;
- bei den unabhängigen Experten des Landesrechnungshofs, die den Oppenheim-Skandal mit unbestechlicher Präzision aufgearbeitet hatten, denen er ganz unverblümt infame Absichten unterstellte: „Ich glaube, der politische Willen, mich zu zerstören, der ist schon eindeutig erkennbar, leider.“
- und nicht zuletzt beim bis heute anonym gebliebenen Autor des Dossiers, der seine Machenschaften aufdeckte und daraufhin von ihm mit wilden Anschuldigungen und Nachreden verfolgt wurde.
Vielleicht könnte man eines Tages etwas Achtung vor dem Mann zurückgewinnen, wenn er sich seiner Vergangenheit stellen und Reue zeigen würde. Er müsste allerdings auch, das gehört unabdingbar dazu, all jene, denen er Unrecht angetan hat, um Verzeihung bitten.
Die Freude über Helds Bestrafung hat gute Gründe
Marcus Held hat selbst dann noch, als die Vorwürfe gegen ihn erdrückend waren, die Bürger „seiner“ Stadt in unfassbar schamloser Weise belogen. „Mein Ziel war es immer, unsere Stadt voran zu bringen und Projekte erfolgreich zu realisieren, um die Lebensqualität für alle Oppenheimerinnen und Oppenheimer stetig zu verbessern“: Mit solchen Sprüchen versuchte er, die Menschen einzufangen, die sich von ihm abzuwenden begannen.
Unvergesslich sein Auftritt unter der Kuppel über dem Deutschen Bundestag, wo er sich filmen ließ und die Würde des Hauses zu einer Art Selbstverteidigungsrede missbrauchte. Auszug aus dem Video: „Also ganz offen, ich kann mit allen Themen umgehen und ich seh natürlich, dass man offenbar versucht, wenn man politisch schon nicht gegen ankommt, wenn man argumentativ schon nicht gegen ankommt, dass es offenbar bei den Mitbewerbern in den anderen Parteien Leute gibt, die mit einer großen Boshaftigkeit versuchen, mir an den Karren zu fahren. Das ist leider in Oppenheim schon öfter der Fall gewesen, deshalb bin ich auch sehr sicher zu wissen, wer dahinter steckt, und es gibt auch viele Informationen und mittlerweile auch Beweise, die das belegen, wo das Ganze herkommt. Ich hoffe, dass auch die Drahtzieher, die mich bewusst hier in ein schlechtes Licht stellen wollen, dass die möglichst schnell ausfindig gemacht werden und dass die Geschichte, wie mir hier Dreck in die Schuhe geschoben werden sollte, auch entsprechend öffentlich wird.“
Solches Gerede ist nicht strafbar, schon gar nicht, wenn man als Bundestagsabgeordneter von Immunität geschützt wird. Aber es ist deshalb nicht weniger verwerflich. Und genau das ist der Grund, weshalb sich viele Menschen über seine Bestrafung – und die weitreichenden Folgen des Urteils bis hin zum Verlust der Altersbezüge – heute richtig freuen:
Weil Held hemmungslos seine Position ausgenutzt hat, weil er gegen jeden zu Felde zog, der ihm auch nur mit leiser Kritik begegnete, weil er Menschen eigenmächtig aus der kleinen Stadtgesellschaft ausgegrenzt und so die kleine Stadt gespalten hat – deshalb herrscht eitel Freude, dass ein Gericht dieses Treiben sanktioniert hat. Endlich!
Der klare Richterspruch erfüllt viele Menschen mit Genugtuung und Freude. Sie sollte ihnen vergönnt sein.
Marcus Held sollte natürlich seine zweite Chance kriegen, gerne, jederzeit. Aber erst einmal muss er liefern.
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