Der Stadtrat wurde nicht eingeweiht, die gewählten Bürgervertreter bekommen weiterhin keine Informationen. Dafür streut Marcus Held jetzt über die Lokalzeitung ausgesuchte Details aus den Prüfmitteilungen des Landesrechnungshofs. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Stadtbürgermeister gibt damit deutlich zu verstehen, was er von seinem kommunalen Parlament hält, von der unabhängigen Kontrollbehörde in Speyer – und auch von der Zeitung. Grund genug für eine eigene Betrachtung.
So, so, jeden Tag wurden im Oppenheimer Rathaus also im Schnitt vier Flaschen Wein ausgegeben. Vier Flaschen an wirklich jedem einzelnen Tag des Jahres, also auch am Volkstrauertag, an Buß- und Bettag, Karfreitag…
Zu diesem Ergebnis kommt eine ganz schlichte Rechnung: An den 365 Tagen des Jahres 2014 gingen im Rathaus an der Merianstraße, wie wir jetzt wissen, exakt 1568 Flaschen Wein „über den Tresen“. Das sind, anders gerechnet, 260 Kartons à sechs Flaschen in einem Jahr. Wenn wir die Anzahl der Rathaus-Flaschen auf die normalen 220 Arbeitstage eines Jahres umrechnen, dann kommen wir im Schnitt sogar auf sieben Pullen – pro Arbeitstag!
Heidewitzka, Herr Stadtbürgermeister! In Oppenheim lässt’s sich wirklich gut aushalten – dank des Steuerzahlers: Der löhnt schließlich alles und muckt nicht auf, wusste er doch bislang nichts vom tollen Treiben hinter den Mauern des Rathauses!
Knapp 2200 Euro zahlt die Stadt – also der Steuerzahler – dem SPD-Stadtbürgermeister Monat für Monat als „Aufwandsentschädigung“. Plus 600 Euro Monat für Monat, weil er sich bekanntlich als Beauftragter so enorm für das Hallenbad Opptimare einsetzt. Marcus Held kassiert dazu noch einiges mehr, und einen städtischen Dienstwagen gab’s jahrelang obendrein, wie wir jetzt erfahren haben, den braucht man als erster Bürger der Stadt Oppenheim natürlich, zwingend:
Es mag ja sein, dass einstmals ein kleiner Peugeot reichte. Aber so ein Auto ist natürlich nichts für das Image und Selbstverständnis eines Marcus Held mit dem enormen dienstlich veranlassten Fahrtenaufkommen als Bürgermeister einer Kleinstadt! 2011 musste deshalb ein BMW 330d Touring her, Listenpreis ab 50.000 Euro aufwärts, mit Allradantrieb, logisch, die steilen Berge und die gruselig-kalten Winter in Oppenheim verlangen das notgedrungen: Angesichts der extremen topographischen und meteorologischen Verhältnisse ist eine gewisse Mindest-Ausstattung ein automobiles „must have“.
Uns geht’s schließlich gut, nicht wahr? Und deshalb wollen wir auch nicht allzu pingelig sein: Die Privatfahrten mit dem BMW – die muss ein Stadtbürgermeister von Oppenheim doch wohl nicht aus eigener Tasche bezahlen, oder? Wenn jetzt der Rechnungshof mosert, wie die Zeitung unter Berufung auf Marcus Held berichtet, dass „die unentgeltliche Nutzungsüberlassung für private Zwecke rechtswidrig war“: Das ist doch kleingeistig!
Aktueller Einschub: Held hat der Zeitung soeben mitgeteilt, dass er alle Privatfahrten mit seinem Dienst-Allrad-BMW im Rahmen der 1-Prozent-Regelung sehr wohl versteuert und damit bezahlt habe. Hatte er diese Information bei dem Redaktionsgespräch vergessen zu erwähnen? Oder wurde sie von der Zeitung versehentlich weggelassen? Das wird nicht verraten; nur so viel: „Der Rechnungshof beanstandet bei mir, wie auch bei VG-Bürgermeister Penzer, dass privat gemachte Fahrten neben dieser 1-Prozent-Regelung nicht nochmals zusätzlich abgegolten worden sind“, wird Held zitiert. Es wirkt leicht angezickt, wenn er sagt: Eine solche doppelte Abrechnung sehe er gar nicht ein, was er auch als Stellungnahme an den Rechnungshof geschrieben habe.
Nun gut, das wird sich klären. Dass die Stadt nach einem Unfallschaden die Selbstbeteiligung von 1236 Euro gezahlt hat, was nach Angaben des Rechnungshofes nicht rechtens gewesen sein soll: Mit solchen Dingen, das muss ganz klar gesagt werden, kann man den Stadtbürgermeister von Oppenheim wirklich nicht belästigen!
Das, was Marcus Held jetzt der „Allgemeinen Zeitung Landskrone“ erzählt hat, was der Rechnungshof an Kritik in den geheimnisumwitterten Prüfmitteilungen anführen soll, ist wirklich nur Peanuts. Oder, wie der Redakteur pflichtschuldigst schreibt: Das klingt ja so, als habe der Rechnungshof „jede Büroklammer im Rathaus einzeln untersucht“.
Wenn man als Stadtbürgermeister die Bürger seiner Stadt auf den unvorstellbar hohen Berg von mehr 20 Millionen Euro Schulden geführt hat, wofür eines Tages die Kinder unserer Kinder werden schwitzen und bluten müssen: Da kommt’s doch auf ein paar Euro mehr oder weniger nun wirklich nicht mehr an! Geschweige denn auf ein paar Flaschen mehr im Rathaus! Gut, der Schuldenberg ist wirklich gigantisch, aber deshalb muss doch nicht zwangsläufig auch die heutige Generation darben! Wir dürfen es uns trotz alledem im Hier und Heute noch einmal richtig gut gehen lassen, oder!?
Also lassen wir’s krachen! Auf Ihr spezielles Wohl, Herr Stadtbürgermeister, noch ’ne Flasche Wein bitte! Das ist schließlich, das werden Sie jetzt ganz bestimmt sagen, Wirtschaftsförderung im besten Sinne des Wortes: Das Rathaus zahlt, der Winzer freut sich, der Trinker sowieso, alle sind gut drauf – was soll den daran Falsches sein?
Das könnten Ihre Worte sein, nicht wahr, Herr Held: Wenn’s eng wird, fällt ihnen noch immer ein flotter Spruch ein, dass alles ganz anders zu bewerten sei. Auf ein paar Flaschen mehr oder weniger kommt’s in diesen Zeiten doch wirklich nicht an! Und das Auto, das war echt billig: BMW bot damals super-günstige Leasingraten! Es entlarvt sich als dumpfbackiger Miesepeter, wer angesichts der alkoholischen Repräsentationsnotwendigkeiten im Rathaus jetzt schlechte Stimmung verbreitet, oder wer rumnöhlt, dass Privatfahrten auf Stadtkosten im Dienstwagen Verschwendung und Amtsmissbrauch seien.
Ich, das ist die Botschaft des heutigen Zeitungsberichts, bin schließlich der Stadtbürgermeister von Oppenheim! Mir steht das zu! Ich darf das!
Das überraschende Polit-Coming-out des Marcus Held fand nicht überall Beifall. Ein Mitglied des Stadtrates sprach prompt von einer „Unverschämtheit“: Die gewählten Bürgervertreter hätten bis heute keine Informationen bekommen, sollen sich wohl vom Stadtbürgermeister häppchenweise mit ausgesuchten Meldungen im Lokalblatt abspeisen lassen.
Aber warum sollte der Mann diesmal anders vorgehen? Er verteilt Gunst und Gnade doch schon immer nach Wohlverhalten: Nur wer brav pariert und sein Spiel mitspielt, kriegt was ab vom Kuchen. Erste Info-Häppchen gab’s vergangene Woche für die Lokalzeitung. Und weil der Bericht richtig lieb geschrieben war (Titel: „Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung?“), dass wir schon mutmaßten, er sei in der Rathaus-Pressestelle vorformuliert worden, gab’s jetzt für die Redaktion einen Nachschlag:
„Rechnungshof wirft Oppenheim Verschwendung vor – Bürgermeister Held wehrt sich“: So lautete die Überschrift. Auch da kann man nicht meckern, die Opfer-Masche weckt bekanntermaßen bei vielen Menschen großes Mitleid. Der arme Marcus, werden sie sagen: Alle greifen ihn an und sagen ihm so viel Schlimmes nach, dabei tut er doch so viel Gutes für uns!
Es scheint der AZ-Redaktion nichts auszumachen, vom Bürgermeister gezielt benutzt zu werden. Warum Held die wirklich schwerwiegenden Themen der Prüfmitteilungen nicht weiter nannte, wird nicht weiter thematisiert. Der Zeitung sind sie nur eine Randnotiz wert:
o Danach fordern die Prüfer des Rechnungshofs, dass die Stadt die Tourismus GmbH auflöst, weil sie zu Lasten der Stadt wirtschaftet. Das ist vor allem bitter für Hansjürgen Bodderas, der nun auch offiziell als gieriger Raffke enttarnt wurde: Die Prüfer hielten sein Gehalt von über 70.000 Euro für zu hoch, schreibt jetzt sogar die Zeitung, womit das Glaubwürdigkeitsproblem des Hilfspredigers die Ausmaße des Katharinen-Kirchturms annehmen dürfte.
o Noch gravierender klingt ein anderer Kritikpunkt: Nahezu 800.000 Euro sollen ohne Ausschreibung für Ingenieursleistungen und Straßenbaumaßnahmen ausgegeben worden sein, und zwar an ein im Rathaus ansässiges Unternehmen. Davon gibt’s nicht allzu viele, die Firmenchefs sind gut befreundet mit Marcus Held, und einer ist (schon jetzt nachgewiesenermaßen) mit einer Großspende an die SPD in Erscheinung getreten…
o Hinzu kommen Maklercourtagen im sechsstelligen Bereich, die ohne erkennbaren Grund ausgegeben wurden.
o Und dann ist da noch die Explosion der Abbruchkosten beim Gradinger-Möbelhaus: Die hatte Held mal (natürlich in der Zeitung) mit nur 300.000 angegeben, inzwischen liegen sie bei über eine Million Euro.
Das sind, unter anderem, die wahren Knackpunkte in den Prüfmitteilungen des Landesrechnungshofes, und sie könnten Marcus Held noch richtig gefährlich werden. Wohl deshalb hält er diese Themen weiterhin unter Verschluss, wie auch das wohl brisanteste Thema, das der Landesrechnungshof aufgegriffen haben soll: Die Großspenden von Unternehmern, die vom Stadtbürgermeister Aufträge bekamen.
Und dann gibt es, nicht zu vergessen, noch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, zu denen Held nichts sagen will, weil er angeblich nicht dürfe – auch wieder so ein Spruch von ihm: „wegen des laufenden Verfahrens“…
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Die Grünen in der Verbandsgemeinde Rhein-Selz haben bereits reagiert. Sie fordern jetzt die sofortige und vollständige Veröffentlichung der Prüfmitteilungen des Landesrechnungshofes. „Es ist ein Unding, dass Stadtbürgermeister Marcus Held entscheidet, wer den Bericht wann zu lesen bekommt.“ Das selektive Verteilen von Infohäppchen an die Zeitung „halten wir für zutiefst undemokratisch“, sagt Christina Bitz, die Sprecherin der Grünen in der VG Rhein-Selz, und schlussfolgert: „Das Vorgehen zeigt erneut, dass Herrn Held nicht an vollumfänglicher Aufklärung Interessiert ist.“