Aufruhr allüberall in Rheinhessen! Erst forderte der SPD-Unterbezirk Alzey-Worms Marcus Held unmissverständlich auf, Konsequenzen zu ziehen – mit anderen Worten: zurückzutreten. Dann informierte Niersteins Stadtbürgermeister Thomas Günther die Mitglieder seiner CDU-Fraktion im VG-Rat, dass er den Rücktritt des Oppenheimer SPD-Stadtbürgermeisters gefordert habe – was recht skurril ist, denn Günther hat in Sachen Held natürlich nichts zu sagen. Und schließlich gibt’s noch einen Brief, den ein CDU-Politiker schrieb – er ruft den CDU-Kreisvorstand Mainz-Bingen auf, in der Causa Held endlich Flagge zu zeigen.
Es war letzte Nacht, gut drei Stunden nach der 7. Oppenheimer Montags-Demo: Da setzte sich Niersteins CDU-Bürgermeister an seinen Computer und schrieb eine späte Mail. 284 Worte tippte er in die Tastatur, fürs „Betreff“-Feld formulierte er: „Erklärung von Bürgermeister Thomas Günther und CDU Fraktionsvorsitzenden VG“.
Exakt um 22.22 Uhr drückte er auf „Senden“. Sekunden später landete das Schreiben in 18 Mail-Postfächer.
Der Inhalt klingt ein wenig burlesk: Er habe, so schrieb Günther, im Ältestenrat der VG und bei der Lokalzeitung den Rücktritt des Oppenheimer Stadtbürgermeisters gefordert. Die sind zwar beide nicht zuständig und können mit einer solchen Forderung gar nichts anfangen, aber das scheint Günther nicht zu interessieren. Held habe mit den nunmehr aufgedeckten privaten Grundstücksgeschäften „die rote Linie überschritten“: Der Vorgang schädige die Politik, die Bürgermeister, die kommunalen Verwaltungen…
Man muss kein Polit-Fachmann sein, um das Günther-Schreiben recht merkwürdig zu finden. Dass ein Stadtbürgermeister den Rücktritt seines Amtskollegen im Nachbarort fordert, ist ein exotisch anmutendes Kuriosum – zumal wenn beide Lokalpolitiker unterschiedlichen Parteien angehören.
Vollends schräg wird der Vorgang, wenn man bedenkt, mit welcher Vehemenz Günther dem Oppenheimer Held bis zuletzt die Stange gehalten hat, sogar gegen Einwände seiner eigenen Parteifreunde. Selbst als die Staatsanwaltschaft jede Menge Ermittlungsverfahren gegen Held einleitete, zeigte sich der Niersteiner Stadtbürgermeister unerschütterlich fest in seinem Glauben an das Gute im Oppenheimer Held.
Anfang dieses Jahres ging der Niersteiner zum Neujahrsempfang in die Nachbarstadt – aber nicht zu der alternativen Veranstaltung, zu dem unter anderem seine Parteifreunde eingeladen hatten. Nein, Günther drängte sich bei der von Held ausgerichteten Feier wie gewohnt an die Seite des umstrittenen SPD-Bundespolitikers. Und als Ex-Landrat Claus Schick (SPD) dort coram publico die negative Held-Berichterstattung als „Pogrome“ bezeichnete, soll Günther begeistert Beifall geklatscht haben.
Mit einem Schlag ist das seit der letzten Nacht alles vorbei! Günther legte eine 180-Grad-Wende hin. Was treibt den Mann nur dazu, sich plötzlich von seinem engen Polit-Gefährten Held so überstürzt abzusetzen? Hat er Druck von der eigenen Partei-Führung bekommen?
Einiges spricht dafür. Seit über einer Woche liegt ein bemerkenswerter Brief beim CDU-Kreisvorstand. Hans-Georg Keßler aus Gau-Bischofsheim hat ihn geschickt. Der CDU-Politiker schreibt, er vermisse eine klare Ansage zum Fall Marcus Held. Und wörtlich „Die Oppenheimer CDU hat sich im Kontext der ,Causa Held’ neu aufgestellt und vertritt eine klare Position. Christian Baldauf zeigt im Landtag klare Kante und stellt den Innenminister als oberste Instanz der Kommunen. Und dazwischen?? Lediglich Thomas Günther mit irritierenden Aussagen wie ,wir sitzen alle im Glashaus’…“
Keßler schreibt weiter, er halte es für dringend angebracht, dass sich der Kreisvorstand endlich öffentlich erkläre. Er legt damit die Finger in eine Wunde, die viele CDU-Politiker vor Ort seit Wochen stark schmerzt: Da gibt’s einerseits die Querschüsse von Thomas Günther, der ohne Rücksicht auf die eigenen Verluste pro Held agierte – und da gibt’s das Schweigen der „Oberen“, auf deren Hilfe und Unterstützung die wenigen Christdemokraten an der Basis bislang vergeblich hofften.
Der CDU-Kreisvorstand hat den Keßler-Brief, den er seit Tagen vorliegen hat, übrigens noch nicht beantwortet.
Wir dokumentieren beide Schreiben im Wortlaut:
Thomas Günther an die CDU-Mitglieder im VG-Rat:
Liebe CDU-Kolleginnen und Kollegen der CDU Fraktion in der VG,
ich möchte euch sofort darüber informieren, dass ich heute Abend im Ältestenrat der VG und der AZ gegenüber den Rücktritt von Stadtbürgermeister Marcus Held gefordert habe. Die neuesten Erkenntnisse des heutigen Tages können nur eine Konsequenz bedeuten:
Bisher bin ich immer dafür eingetreten und habe das auch nach außen vertreten, dass die Unschuldsvermutung für mich einen hohen Stellenwert hat und wir warten sollten bis die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht eine Entscheidung gefällt hat.
Die heute bekannt gewordenen Vorwürfe sind aber so schwerwiegend, dass hier schnellstens Konsequenzen gefordert werden müssen. Es geht nicht, dass ein Bürgermeister ein Grundstück erwirbt, dieses Grundstück vom Gewerbegebiet in ein Mischgebiet umwandeln lässt und dann dieses Grundstück zum doppelten Preis weitergekauft und dies noch unter einem Touch der sozialen Gesinnung. Das schadet der ganzen Politik! In meinen Augen ist das ganz nah an unzulässigen Handlungen. Dies kann ich als Bürgermeister absolut nicht mehr akzeptieren, zumal ich seit 20 Jahren selbst Bürgermeister bin und wir in Nierstein in keinster Weise auch nur annähernd solche Geschäfte getätigt oder zugelassen haben. Hier ist die rote Linie überschritten, sodass ich heute im Ältestenrat und der Presse gegenüber dies auch erklärt habe. Ich finde es besonders schäbig, dass dies noch unter dem Deckmantel sozialen Engagements passiert. Dieser Vorgang schädigt generell die Politik und die Bürgermeister und kommunalen Verwaltungen, die tagtäglich ordnungsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen ihre Aufgaben bewältigen.
Genauso verurteile ich, wenn einer bei Ruhmöller schreibt, „Thomas Günter und die CDU-Paladine der VG-CDU-Fraktion“ – dies ist nicht nur parteischädlich, sondern diffamierend und verletzend für die eigenen Fraktionsmitglieder. Darüber werden wir noch in der Fraktion zu reden haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Günther
Hans-Georg Keßer an den CDU-Kreisvorstand:
Seit nunmehr einem Jahr ist bekannt, dass es in der VG Rhein-Selz und der Stadt Oppenheim Unregelmäßigkeiten gibt. Ein „Whizzelblower“ war aktiv und mutig. Seit Vorlage des LRH-Berichts ist dokumentiert, dass dort die Regeln der Kommunalverfassung wiederholt und massiv missachtet wurden. Regelverstöße durch einen gut ausgebildeten Volljuristen und erfahrene Verwaltungsexperten wiegen hier doppelt schwer. Der Gemeinde ist wirtschaftlicher Schaden entstanden. In Details wird deutlich, dass vor Ort eine Günstlingswirtschaft gepflegt wird. Vorgänge wie die Nutzung der Kirche zur Verbreitung politischer Parolen hat schon despotische Züge. Die Ermittlungen der Anwaltschaft kommen noch oben drauf. Sie müssen nun „lediglich“ noch bewerten, ob der Tatbestand der Untreue erfüllt ist.
Bemerkenswert, dass inzwischen auch die AZ – bisher ein treuer Freund der politischen Protagonisten – die Lage erkannt hat und nunmehr kritisch berichtet, bis hin zu Rücktrittsforderungen.
Die Oppenheimer CDU hat sich im Kontext der „Causa Held“ neu aufgestellt und vertritt eine klare Position. Christian Baldauf zeigt im Landtag klare Kante und stellt den Innenminister als oberste Instanz der Kommunen. Und dazwischen ?? Lediglich Thomas Günther mit irritierenden Aussagen wie „wir sitzen alle im Glashaus“…
Die Position meiner CDU im Landkreis zu diesen Vorgängen ist nicht erkennbar. Die CDU findet zu diesem Punkt einfach nicht statt. Wo ist meine CDU, um die Schwachen zu stärken und gegen diese Politik zu schützen, die sich das Staatswesen untertan macht ?
Ich halte es für dringend angebracht, dass der Kreisvorstand hier kurzfristig deutlich Position bezieht und sich öffentlich erklärt. Dies muss nicht die Vorsitzende selber machen, die gleichzeitig auch Landrätin ist. Wir haben Stellvertreter gewählt, wir haben einen Fraktionsvorstand im Kreistag.
Die Gesetze und die Regeln der Kommunalverfassung stehen über allem – auch über Koalitionsverträgen. Wobei es im Kreistag ein solches Problem nicht geben sollte, da Herr Barbaro bereits deutlich Position bezogen hat.
Anbei zwei Postings aus dem Blog von Herrn Ruhmöller. Sie beziehen sich auf die neuesten Erkenntnisse zum Umgang mit säumigen Zahlern (Grundstückskäufe Krämereck-Süd). Von einigen Käufern wurden Säumniszuschläge eingefordert. Anderen wurden sie erlassen. Unter anderem wurden sie von BM Held dem HGO-Geschäftsführer Held erlassen. Auch dieses Vorgehensweise, dass ein Bürgermeister mit sich selber als Geschäftsführer Verträge abschließt und der den GF kontrollierende Vorstand die gleiche Person ist, ist es wert, politisch gewertet zu werden.
Mit freundlichem Gruß
Hans-Georg Keßler