Oppenheims SPD-Stadtbürgermeister steht zunehmend isoliert dar – in seiner Stadt, aber auch in seiner Partei. Die unsägliche Entgleisung von Ex-Landrat Claus Schick (SPD) beim Neujahrsempfang, die von den Besuchern bejohlt und von Marcus Held kritiklos hingenommen wurde, schlägt weitere Wellen: Schriftlich fordern jetzt die Jusos Mainz-Bingen die Kreis-SPD zum Einschreiten auf. Gestandene SPD-Politiker der Region haben sich dem Schreiben angeschlossen.
Auf der Homepage der Stadt Oppenheim lässt sich Marcus Held für „seinen“ Neujahrsempfang noch feiern: „Mehr als 400 Gäste durfte die Stadt Oppenheim zu ihrem alljährlichen Neujahrsempfang in der Landskronhalle begrüßen“, liest man dort. Der Text lässt glauben, dass eine Messe der selbstgefälligen Lobpreisung gefeiert wurde mit ganz viel Weihrauch für den Stadtbürgermeister: Der habe im letzten Jahr stets „das Wohl der Stadt im Blick gehabt“ und ihr so einen „Boom“ und eine „dynamische Entwicklung nach oben“ beschert.
In Wahrheit ist die städtische Feierstunde, bei der Marcus Held aus der klammen Stadtkasse erneut großzügig Kaffee und Kuchen für alle spendierte, längst zu einem politischen Desaster geworden. Erst musste der Stadtbürgermeister miterleben, wie ein alternativer Neujahrsempfang, zu dem seine Kritiker eingeladen hatten, überraschend viele Gäste lockte: Die setzten damit ein deutliches Zeichen gegen die von Held gepflegte Verschwendung städtischen Geldes.
Vollends zum Fiasko wurde der städtische Neujahrsempfang aber „dank“ eines Parteifreundes: Ex-Landrat Claus Schick (SPD) hatte in seiner Rede die kritischen Presseberichte zum Oppenheim-Skandal als „Pogrom“ bezeichnet. Er nutzte damit ein Wort, mit dem die gewaltsamen Ausschreitungen gegen Juden im Dritten Reich bezeichnet werden. Die Parteimitglieder im Saal johlten zustimmend. Und was tat Marcus Held? Er schritt nicht ein. Er schaute zu und sagte nichts.
SPD-Kreisvorsitzender Salvatore Barbaro hat sich inzwischen offiziell distanziert („Der Vergleich mit den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte ist völlig unangemessen.“) und damit aus dem Hochamt für Held einen veritablen Tiefpunkt dessen Amtszeit gemacht. Aber damit nicht genug:
Jetzt meldeten sich die Jusos Mainz-Bingen zu Wort – und ihnen schlossen sich ein gutes Dutzend Mandatsträger der SPD an, darunter Landtagsabgeordnete und Bürgermeister: Ex-Landrat Schick relativiere die Pogrome der 30er Jahre, „die auch in Oppenheim stattfanden und die in keiner Relation zur aktuellen Situation stehen“, schreibt Juso-Vorsitzender Daniel Baldy an den Kreisvorstand und an alle Mandatsträger der SPD Mainz-Bingen. Sein Schreiben klingt, als wolle er die Kreis-SPD wachrütteln: Die müsse endlich eingreifen und „eine öffentliche Entschuldigung“ fordern.
Ex-Landtagsabgeordneter: Ich schäme mich für diese Vorgänge
Thomas Stritter ist Rechtsanwalt in Ingelheim und seit mehr als 40 Jahren SPD-Mitglied. Er war Juso-Chef in Ingelheim, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins, Mitglied des Stadtrates. Er saß im Vorstand des SPD-Unterbezirks Mainz-Bingen, im Vorstand des Bezirks Rheinhessen und auch im Landtag Rheinland-Pfalz. Jetzt hat dieser Vollblut-Sozialdemokrat zu den Vorgängen in Oppenheim einen offenen Brief geschrieben, den wir im Wortlaut veröffentlichen:
Die Unschuldsvermutung gilt für alle, so auch für den Oppenheimer Bürgermeister und Bundestagsabgeordneten Markus Held. Allerdings ist von unseren Politikern zu erwarten, dass sie sich in besonderem Maße vorbildlich verhalten und öffentliche Verantwortung übernehmen, wenn Fehlverhalten im Amt das öffentliche Ansehen ihres Amtes nachhaltig beschädigt.
Im Falle Marcus Held lesen wir seit etwa einem Jahr von Vorwürfen gegen ihn, die letztlich dazu führten, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt und der Landesrechnungshof ihm bereits ein Fehlverhalten in der Amtsführung bescheinigt hat.
Marcus Held und seine Unterstützer setzen sich über diese schwerwiegenden Vorgänge und den mittlerweile laut gewordenen Bürgerprotest in unzumutbarer Weise hinweg. Vergleiche mit der Verfolgung von Juden sind ebenso unerträglich, wie geschichtsblind. Auch dieses eskalierende Verhalten ist letztlich geeignet, Marcus Held, seine Ämter, aber auch die Partei, der er, ebenso wie ich selbst angehört, nachhaltigen Schaden zuzufügen. Es ist an der Zeit, ein Parteiordnungsverfahren durch die zuständigen Parteigremien einzuleiten.
Marcus Held wäre anzuraten, zu seinem Selbstschutz und Wahrung von Anstand und Würde, rasch die Konsequenzen zu ziehen und seine öffentlichen Ämter bis zur endgültigen rechtlichen Klärung ruhen zu lassen und, sollten sich die Vorwürfe bestätigen, diese unverzüglich niederzulegen. Nur so können die Ermittlungen in sachlicher Neutralität zu Ende geführt werden und weiterer Schaden von seinen Ämtern und der SPD abgewendet werden.
Ich schreibe dies, weil ich mich für diese Vorgänge als langjähriges Mitglied der SPD schäme, auch dafür, dass zuständige Parteigremien nicht eingreifen und öffentlich Stellung beziehen.
Die selbstbewusste Nachwuchs-Organisation der Sozialdemokraten, die zuletzt mit ihrer No-GroKo-Kampagne die SPD auf Bundesebene gehörig aufgemischt hatte, geht in ihrem anderthalbseitigen Schreiben aber über die Schick-Entgleisung hinaus. Es wird auch deutliche Kritik an Marcus Held und seiner Amtsführung geübt:
Mit der Veröffentlichung des Rechnungshofberichts lägen nun Fakten vor, „die mit unserem Verständnis von sozialdemokratischer Kommunalpolitik nicht vereinbar sind und zu denen sich in unseren Augen auch die SPD Mainz-Bingen äußern muss“. Ein kritischer Umgang mit Fehlern müsse Bestandteil des sozialdemokratischen Selbstverständnisses sein; die Vorwürfe hätten der Kreispartei bereits einen massiven Vertrauensverlust eingebracht, „den wir nicht länger tatenlos hinnehmen möchten“.
„Wir können und wollen nicht länger stillschweigend diese Vorgänge hinnehmen“, schreiben die Jungsozialisten. Seit Monaten immer neue Enthüllungen im Oppenheim-Skandal mit immer neuen Held-Affären, jetzt auch noch die unsägliche Schick-Entgleisung – es reicht offenbar: „Was wir als SPD Mainz-Bingen jetzt brauchen ist eine klare Stellungnahme zu der aktuellen Debatte in Rhein-Selz“, heißt es in dem Brief.
Unter dem Schreiben stehen als Mitunterzeichner mehrere Namen, die den Brief zu einem gefährlichen Sprengsatz machen. Es sind (alphabetisch geordnet):
Wolfgang Bärnwick (SPD-Vorstand Ingelheim), Dominik Brill (SPD-Vorstand Ingelheim), Ralf Claus (SPD-Oberbürgermeister Ingelheim), Thomas Glück (Vorsitzender SPD Bodenheim, Vorsitzender SPD-Fraktion im Verbandsgemeinderat Bodenheim), Ralf Graßmann (SPD-Kreisvorstand Mainz-Bingen), Sebastian Hamann (SPD-Stadtrat Ingelheim, Vorsitzender Bingen-Innenstadt), Thomas Hammann (SPD-Kreisvorstand Mainz-Bingen, Mitglied im Gemeinderat Bubenheim, Mitglied im Verbandsgemeinderat Gau-Algesheim), Felix Harth (SPD-Fraktion Ingelheim), Jan Hofmann (Vorsitzender SPD-Verband Gau-Algesheim), Michael Hüttner (SPD-Landtagsabgeordneter), Nina Klinkel (SPD-Landtagsabgeordnete), Norbert Külzer (SPD-Fraktionsvorsitzender Ingelheim), Claudia Lörsch (Stellv. SPD-Vorsitzende in Mainz-Bingen, Mitglied im Kreistag Mainz-Bingen), Roland Schäfer (Vorsitzender SPD Ingelheim), Philipp Staudinger (Vorsitzender SPD Bingen), Sabine Stock (Vorsitzende SPD Nierstein und Schwabsburg, Kreisvorstand), Thomas Stritter (Ex-Landtagsabgeordneter der SPD), Martin Weidmann (SPD-Ortsbürgermeister Heidesheim), Rouven Winter (SPD-Kreistag Mainz-Bingen, Vorsitzender SPD Bingen-Ost)
Es sind allesamt gestandene Sozialdemokraten, die dem Oppenheim-Skandal und dem Treiben von Marcus Held nicht länger schweigend zuschauen wollen. Damit gerät der Affären belastete Stadtbürgermeister jetzt massiv unter Druck: Die Demonstranten, die seit Jahresbeginn jeden Montag in immer größerer Zahl – diese Wochen waren es schon rund 300 – auf dem Rathausplatz gegen seine „Herrschaft“ protestieren und seinen Rücktritt verlangen, mag Held ignorieren können. Aber wenn die eigenen Partei-Mitglieder aufstehen und den Flurschaden, den er angerichtet hat, auch als Beschädigung sozialdemokratischer Grundwerte und Prinzipien ausmachen: Dann können auch die Verantwortlichen in der SPD nicht länger wegschauen und so tun, als sei gar nichts geschehen.