Marcus Held: Steht er hinter dem SPD-Programm?

Wissen Sie noch, was „VG-Leaks“ war? Genau: Anfang dieses Jahres hatten Unbekannte den Oppenheim-Skandal ins Rollen gebracht, indem sie vertrauliche Dokumente aus der Verwaltung der Verbandsgemeinde Rhein-Selz an die Öffentlichkeit lancierten. Inhalt: angebliche Belege für strafrechtlich relevante Geschäfte des Oppenheimer SPD-Stadtbürgermeisters Marcus Held. Geht es nach der Bundes-SPD, müssten die anonymen Hinweisgeber („Whistleblower“) aus Oppenheim höchstes Ansehen genießen, über Rheinhessen hinaus. Auf keinen Fall dürften sie staatsanwaltschaftlich verfolgt werden: Ihnen müsste umfassender Schutz zuteil werden – sogar an ihrem Arbeitsplatz, in der Verwaltung der Verbandsgemeinde Rhein-Selz.

Das ist ausdrücklich der Wunsch von Martin Schulz, der am 24. September SPD-Bundeskanzler werden möchte. Er ließ den Schutz von Whistleblowern sogar in seinem Regierungsprogramm festschreiben. Und damit steckt Marcus Held wie auch sein SPD-Buddy Klaus Penzer jetzt in einer äußerst unangenehmen Zwickmühle: Wollen sie sich ehrlich zu den Zielen ihrer Partei bekennen? Oder werden Sie, zur Verfolgung eigennütziger Ziele, das offizielle SPD-Programm verleugnen? Es ist drei Wochen vor der Wahl, und damit: Zeit für Wahrheit!

Kurze Rückblende: Anfang dieses Jahres hatten Unbekannte das knapp 50-seitige Dossier in Umlauf gebracht. „Memorandum“ nannten sie es und listeten darin jede Menge angeblicher Vergehen von Oppenheims SPD-Stadtbürgermeister Marcus Held auf. Rund 30 Seiten des Dossiers waren Kopien von Behördendokumenten, mit denen die Vorwürfe untermauert wurden. Die Papiere stammten eindeutig aus der Verwaltung der Verbandsgemeinde (VG).

Natürlich war es ein großer Schock für alle VG-Mitarbeiter, dass ihre Behörde öffentlich mit dem Oppenheim-Skandal und den dubiosen Geschäften des SPD-Bundestagsabgeordneten und Stadtbürgermeisters Marcus Held in Zusammenhang gebracht wurde. Klaus Penzer, der Chef der VG-Verwaltung, ging den erschreckenden Inhalten allerdings gar nicht erst nach. Vielmehr konzentrierte sich der VG-Chef auf die Jagd nach den „Tätern“ (Held: „Kriminelle“) im eigenen Haus:

„VG Leaks“ war plötzlich Penzers großes Thema. „Hier hat jemand einen Riesenschaden angerichtet“, gab sich der Verwaltungschef überzeugt, „das geschah bewusst und vorsätzlich.“ Er meinte nicht Marcus Held und dessen wiederholt rechtswidriges Handeln. Er meinte den Umstand, dass jemand das Treiben des Stadtbürgermeisters öffentlich gemacht hatte, mit Unterlagen aus seinem Laden, der Verwaltung der Verbandsgemeinde.

Dass der Rechnungshof Rheinland-Pfalz die im Dossier aufgeführten Vorwürfe gegen Marcus Held „substantiiert“ nannte, störte Penzer offensichtlich nicht: Er ließ am 4. April einen Rechtsanwalt Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verrats sensibler Dokumente erstatten.

Beim Weinfest in Oppenheim hingen sie, in angemessener Distanz, nebeneinander im SPD-Stand, : Marcus Held und sein Kanzlerkandidat Martin Schulz.

Der lokale AZ-Chefkommentator Ulrich Gerecke ging folgsam den vorgezeichneten Weg: Er sprach in seinem Blatt von einem „handfesten Skandal“, auch er meinte nicht das rechtswidrige und in Teilen sogar strafrechtlich relevante Geschäftsgebaren von Marcus Held. Vorsätzlich seien Grundstücksverträge und andere sensible Dokumente aus der VG-Verwaltung „durchgestochen“ worden, empörte sich der Redakteur, was recht pharisäerhaft klang, sind doch  Verwaltungs-Leaks und durchgesteckte Dokumente ein wesentlicher Baustein eines erfolgreichen Journalismus‘ – und auch einer wehrhaften Demokratie. Die „Allgemeine Zeitung“ aber zeigt gegenüber Hinweisgebern offenbar eine eigene, sehr eigenartige Haltung: Solch Informationsfluss, befand der schreibende Oppenheimer Damokles, sei „nicht nur strafbar, sondern hat das Potenzial, ein politisches Erdbeben auszulösen“.

Die „Hexenjagd“ (AL-Chef Darmstadt) auf die Whistleblower war eröffnet. Und Marcus Held gefiel sich mal in der Rolle des leidenden Opfers („Jemand will mich zerstören!“), mal als unerschrockener Aufklärer: Dem Anzeigenblättchen „Nibelungenkurier“ erzählte er, die Täter seien identifiziert und er werde Anzeige „gegen den nun enttarnten Anonymus“ erstatten. Was prompt die „Allgemeine Zeitung“ weiterphantasieren ließ (wobei als Stichwortgeber der Stadtbürgermeister vermutet werden darf): „Unangenehme Post dürften in den kommenden Tagen zwei Rheinhessen erhalten: Sie könnten hinter den anonymen Vorwürfen gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Marcus Held stecken“. Held wolle Anzeige erstatten, „doch zunächst sollen die zwei Personen von Helds Anwalt gehört werden“.

Bis heute ist nicht bekannt, was bei der Anhörung der angeblich enttarnten Rheinhessen durch Helds Anwalt herauskam. Wahrscheinlicher ist: Es gibt sie überhaupt nicht, die enttarnten Rheinhessen. Marcus Held hatte den Journalisten offenbar erneut vorsätzlich Falsch-Informationen – Fake News – untergejubelt, die in bekannter Manier umgehend ungeprüft in der Zeitung veröffentlicht wurden.

Die Mainzer Staatsanwaltschaft sagte unlängst auf Anfrage, die Ermittlungen liefen noch: Es gebe keine neuen Erkenntnisse.

Beide, Marcus Held wie Klaus Penzer, haben inzwischen ihren Jagdeifer nach den unbekannten Dossier-Verfassern gedrosselt. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ihre Partei – die SPD – einen gänzlich anderen Umgang mit Hinweisgebern verlangt, seit Jahren schon: „Unsere Gesellschaft profitiert von mutigen Arbeitnehmern, die auf Notstände hinweisen“, sagte die Bundestagsabgeordnete Anette Kramme als Sprecherin der SPD-Fraktion für Arbeit und Soziales bereits vor fünf Jahren. Es werde Zeit, „dass die Rechte und Pflichten von Hinweisgebern endlich verbindlich geregelt werden“.

Zu einer solchen Parteilinie passt natürlich nicht, wenn ein SPD-Bundestagsabgeordneter im engen Schulterschluss mit einem SPD-Bürgermeister eine Hexenjagd auf Whistleblower in der eigenen Verwaltung veranstaltet. Zumal sich inzwischen die aktuelle Bundes-SPD sehr eindeutig positioniert hat:

Im wortgewaltig mit „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ überschriebenen „Regierungsprogramm für Deutschland“ von Kanzlerkandidat Martin Schulz heißt es auf den Seiten 73 und 74, dass die großen Skandale der letzten Monate „nur durch interne Hinweisgeber“ bekannt geworden seien. „Ein solch couragiertes Handeln der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ müsse rechtlich besser abgesichert werden. „Wir wollen sie vor arbeitsrechtlichen Nachteilen schützen.“ Der Schutz von Hinweisgebern solle auch „in die Führungsleitlinien („Code of Conduct“) von Wirtschaft und Verwaltung integriert werden“.

Held wie Penzer haben mithin ein echtes Problem: Eigentlich müssten sie die Whistleblower in der Verwaltung der Verbandsgemeinde Rhein-Selz schützen. Immerhin haben diese Hinweisgeber schwerwiegende Verfehlungen und Fehler aufgedeckt: Die Staatsanwaltschaft Mainz hat inzwischen sogar schon ein Ermittlungsverfahren gegen Marcus Held eingeleitet.

Ohne das Dossier, ohne den oder die mutigen Whistleblower in der VG-Verwaltung Rhein-Selz wären der Oppenheim-Skandal und die ganzen Marcus-Held-Affären niemals bekannt geworden. „Zeit für Gerechtigkeit“ – Marcus Held und auch Klaus Penzer müssten jetzt eigentlich Flagge zeigten:

Wollen sie das eigene Parteiprogramm glaubwürdig vertreten?

Oder ist das Regierungsprogramm ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz für sie nur Makulatur? Ein kleiner Stapel Papier mit beliebigen Politparolen, Verfallsdatum 24. September 2017?

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