Hinter dem Türchen, das sich heute öffnet, liegt ein langer, ganz dunkler Gang: Das, was der Rechnungshof zu Krämereck-Süd ermittelt hat, ist viel zu umfangreich, als dass wir es an einem Tag darstellen könnten. Deshalb heute nur Teil 1: Wie alles anfing – der Ankauf der Grundstücke durch die Stadt.
Der dunkle Gang führt uns in eine kleine Siedlung am Rande der Stadt Oppenheim, wo kleinere und größere Wohnhäuser, ein neues Einkaufszentrum und einige Gewerbebetriebe entstanden sind. Doch das ist nur die bekannte Fassade von Krämereck-Süd: Dahinter muss es richtig schmutzig, ja offenbar auch kriminell zugegangen sein.
Und diese Erkenntnis kann für Marcus Held im Regresswege möglicherweise richtig teuer werden, vor allem aber drohen ihm auch strafrechtliche Sanktionen. Die bisherigen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen setzen genau hier an:
Es war in den Jahren 2014 und 2015, als die Stadt 23 Grundstücke in Krämereck Süd erwarb. Kaufpreis insgesamt: 5.887.320 Euro.
Der Plan schien gut, er war ebenso simpel wie optimistisch: Die Stadt wollte die erworbenen, bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen überplanen und dann Bauplätze an Häuslebauer und Gewerbebetriebe weiterverkaufen. Gewinnbringend natürlich, gut für die darbende Stadtkasse!
Für den Abschluss von 22 Kaufverträgen zahlte die Stadt an die G-A-J Immobilien-Vermittlungs-GmbH (GAJ) eine Maklerprovision in Höhe von zusammen 205.5021 Euro.
Das sind zunächst einmal die nüchternen und auch unstrittigen Fakten.
Im Rückblick müssen wir heute sagen, dass die Geschäfte von Held bei der Entstehung des Baugebiets Krämereck-Süd die Aufdeckung des ganzen Oppenheim-Skandals mit all seinen Untiefen ins Rollen brachten: Eine Vielzahl der Immobiliengeschäfte, die Stadtbürgermeister Marcus Held hier abwickelte, war eindeutig nicht sauber, was Mitarbeiter in der Verwaltung der Verbandsgemeinde recht früh erkannten. Als sie mit ihren Hinweisen und Beschwerden bei ihrer Behördenleitung abblitzten, sammelten sie alle möglichen Dokumente als belastbare Beweise. Später veröffentlichten sie diese Unterlagen in einem Dossier und verteilten es – an Behörden und an Journalisten. So begann die Arbeit an dieser Webseite. So wurde der Landesrechnungshof aufmerksam und setzte eine Sonderprüfung an, dessen Ergebnis (in Form des Entwurfs der Prüfmitteilungen) wir im „Oppenheimer Adventskalender“ dokumentieren. Und nicht zuletzt rückte die Staatsanwaltschaft an: Sie ermittelt inzwischen gegen Marcus Held wegen des Verdachts der Untreue und gegen zwei Immobilienmakler wegen gewerbsmäßigen Betruges in zehn Fällen.
Kehren wir zurück zur behördlichen Betrachtung der städtischen Immobiliengeschäfte in Krämereck-Süd, die den größten Anteil der Prüfmitteilungen des Landesrechnungshofs ausmachen. Die Experten aus Speyer gehen in ihrem Bericht Schritt für Schritt vor, sie haben alle Kaufverträge sowie die nachfolgenden Handlungen der Stadtspitze ausge- und bewertet.
Und das sind die zentralen Erkenntnisse aus der Ankauf-Phase – zunächst einmal nur bezogen auf die reinen Vertragsabschlüsse:
- Nur sechs der 23 Kaufverträge waren „zumindest teilweise“ durch Ratsbeschlüsse legitimiert.
- Vier Grundstücke im Wert von 577.810 Euro kaufte der Stadtbürgermeister mit seinen Beigeordneten, ohne dazu mit einen Ratsbeschluss oder zumindest mit einer Eilentscheidung ermächtigt worden zu sein.
- In drei weiteren Fällen schlossen Marcus Held und die Beigeordneten Kaufverträge ab, bei denen sie einen vorliegenden Ratsbeschluss einfach missachteten: Mal war die Grundstücksfläche größer als genehmigt, mal gewährten sie eigenmächtig einen höheren Quadratmeterpreis (110 Euro statt 105 Euro für über 8.000 Quadratmeter).
„Die daraus entstandenen Kaufpreis-Verbindlichkeiten der Stadt waren um 275.510 Euro höher als durch die Ratsbeschlüsse legitimiert“, heißt es im Bericht aus Speyer. Man kann’s auch so ausdrücken: Der Bürgermeister und seine Beigeordneten hatten allein bei diesen drei Grundstücksankäufen viel zu viel Geld – fast eine Viertel Million Euro – ohne Erlaubnis ausgegeben. Wohlgemerkt: Wir sprechen an dieser Stelle erst einmal nur von überhöhten Kaufpreisen, noch nicht von rechtsgrundlos gezahlten Maklercourtagen, die später folgt sollten….
Unterm Strich sagen die Rechnungsprüfer: Der Abschluss von sieben Verträgen war rechtswidrig, weil Bürgermeister und Beigeordnete ihre Kompetenzen überschritten hatten.
Mitte Juni dieses Jahres, als diese Webseite die meisten Details des Oppenheim-Skandals publik gemacht hatte und Marcus Held zunehmend unter politischen Druck geriet, versuchte der Stadtbürgermeister, einen Teil seiner Fehler zu „heilen“, wie es im Verwaltungsdeutsch heißt:
Er ließ sich vom Stadtrat die Kaufverträge aus dem Jahr 2013 nachträglich genehmigen – was für ihn ja kein Problem darstellte, verfügt doch seine SPD über eine satte Mehrheit im kommunalen Parlament.
Die Rechnungsprüfer sagen heute: Auch ein solcher nachträglicher Ratsbeschluss ändere nichts „an der Rechtswidrigkeit im Zeitpunkt des Handelns des Bürgermeisters“. Dies gilt explizit für den Ankauf von mehr als 8.000 Quadratmetern zum überhöhten Quadratmeterpreis von 110 Euro (statt wie vom Stadtrat legitimiert; 105 Euro).
13 der Immobilien-Kaufverträge mit einem Volumen von 2.757.750 Euro hatte sich der Stadtbürgermeister mit Eilentscheidungen quasi selbst genehmigt. Das ist ein Vorgehen, das in den letzten Jahren immer wieder in Oppenheim anzutreffen war: Mit Eilentscheidungen genehmigte sich der Bürgermeister, was ihm gerade notwendig erschien. Das darf als Missbrauch einer gesetzlich vorgesehenen Entscheidungsbefugnis sein: Eilentscheidungen sind natürlich zulässig, aber nur dann, wenn binnen weniger Stunden über eine Maßnahme entschieden werden muss (z.B. zur Auftragsvergabe bei einem Wasserrohrbruch im Winter im Rathaus).
Die Prüfer sagen jetzt: Bei den Immobilien-Ankäufen in Krämereck-Süd gab es überhaupt keine Dringlichkeit. Vielmehr sei der Stadtrat mit den Eilentscheidungen übergangen worden:
Dem lokalen Parlament, so formulieren die Rechnungsprüfer, wurde durch das Vorgehen von Marcus Held „die Entscheidung entgegen den kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften entzogen“.
Eilentscheidungen müssen, wenn sie denn gefällt werden, laut Gesetz dem Stadtrat unverzüglich bekannt gemacht werden, spätestens also in der nächsten Sitzung. Das aber hat Marcus Held nicht getan: Erst nachdem wir ihn auf dieser Webseite auf seine Pflicht hingewiesen hatten, informierte er das Stadtparlament – also um Jahre verspätet. Diese nachträgliche Information des Stadtrates hat ihm nichts gebracht – auch das war nicht rechtskonform.
Die Bewertung der Rechnungsprüfer lautet: Die verspätete Bekanntgabe der Eilentscheidungen „verstieß gegen § 48 Satz 2 GemO und vereitelte Rechte des Rates nach § 48 Abs. 3 GemO.“
Zum Abschluss eines jeden Kapitels fassen die Rechnungsprüfer ihre Erkenntnisse in klare Anweisungen für künftiges Verwaltungshandeln zusammen. Dabei handelt sich in der Regel um die Umkehrung der Verfehlung, mithin um Selbstverständlichkeiten. Die Anweisungen nach der Bewertung der Ankäufe in Krämereck-Süd lauten:
- Beim Abschluss von Verträgen sind künftig die kommunalrechtlichen Kompetenzgrenzen zu beachten.
- Zukünftig sind Eilentscheidungen nur noch in den von Gesetz vorgesehenen Fällen zu treffen.
- Der Rat ist künftig über Eilentscheidungen unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
Diese Anweisungen machen zugleich das ganze Ausmaß des Fehlverhaltens von Marcus Held deutlich. Denn sie besagen:
- Marcus Held hat sich beim Abschluss von Verträgen in Krämereck-Süd nicht an kommunalrechtliche Kompetenzgrenzen gehalten.
- Der Stadtbürgermeister hat mit seinen Eilentscheidungen gegen gesetzliche Vorgaben gehandelt.
- Er hat den Stadtrat nicht wie vorgeschrieben informiert, er hat ihn übergangen – nicht einmal, sondern wiederholt.
Maklerbüro war nicht tätig und kassierte trotzdem
Nun aber zu der zweiten schadenstiftenden Facette der Ankaufsphase:
Der Ankauf als solcher war bereits – wie vorstehend beschrieben – in großen Teilen rechtswidrig. Und dann gab es – als wären überhöhte Kaufpreise und fehlende Ratsermächtigungen nicht genug – auch noch die Maklerprovisionen von über 200.000 Euro. Wir haben darüber bereits vor Monaten ausführlich berichtet. Die aktuelle Bewertung des Rechnungshofes ist für Marcus Held noch weitaus dramatischer als bisher angenommen: Die von ihm veranlassten Auszahlungen der Maklerprovisionen an die GAJ waren nicht gerechtfertigt. Deshalb müsse, so schreiben die Prüfer in ihrem Bericht, die ohne Rechtsgrund gezahlte Maklercourtage zurückgefordert werden – eventuell müsse der Stadtbürgermeister dafür aufkommen.
Zwei konkrete Beispiele führt der Bericht an:
Im Januar 2014 kaufte die Stadt ein Grundstück, im Kaufvertrag stand nichts von einer Maklercourtage. Gleichwohl schickte die GAJ der Stadt zwei Rechnungen über insgesamt 31.761,55 Euro. Der Stadtbürgermeister bestätigte die Richtigkeit.
In der Verwaltung der Verbandsgemeinde, die das Geld überweisen sollte, monierte ein Sachbearbeiter, dass es für die GAJ-Forderung keine Rechtsgrundlage gebe. Daraufhin teilte die GAJ mit, es bestünde eine Vereinbarung mit der Stadt. Marcus Held wiederum sagte, es gebe zwar keine schriftliche Vereinbarung, aber die GAJ habe das Geschäft vermittelt, also sei sie berechtigt zu kassieren.
Der Sachbearbeiter blieb hart, wurde aber von VG-Bürgermeister Klaus Penzer „zurückgepfiffen“: Die Maklerrechnung wurde bezahlt.
Heute sagt der Rechnungshof: Es fehlte ein Rechtsgrund für die Zahlung der Maklercourtage. „Diese ist im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten zurückzufordern. Ansonsten sind Schadenersatzansprüche gegen den Bürgermeister zu prüfen.“
Ein zweiter Fall: Im November 2014 kaufte Held ein 3.614 Quadratmeter großes Grundstück für 234.910 Euro vom Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM).
Als im März dieses Jahres der Rechnungshof mit der Überprüfung der Oppenheimer Amtsgeschäfte begann und ersten Akten anforderte, schickte die Verbandsgemeindeverwaltung alle Unterlagen zu diesem Grundstücksgeschäft nach Speyer. Die Akte sei vollständig, soll Bürgermeister Penzer ausdrücklich erklärt haben. Eine Makler-Rechnung fanden die Prüfer nicht in den Unterlagen.
Als die Experten dann ihre Arbeit vor Ort im „Rondo“ fortsetzten und weitere Akten durchsahen, fanden sie eine Maklerrechnung zum Ankauf des LBM-Grundstücks: über 26.539,74 Euro, ausgestellt von der GAJ. Die Forderung war handschriftlich mit „o.k.“ gekennzeichnet – so pflegte Stadtbürgermeister Marcus Held Rechnungen an die VG-Verwaltung weiterzureichen, als von ihm geprüft und für ordnungsgemäß befunden.
Nach diesem unerwarteten Aktenfund fragten die Prüfer des Rechnungshofes beim LBM nach, ob die GAJ als Makler eingeschaltet gewesen sei. Die Antwort lautete „nein“. Eine irgendwie geartete Vermittlungstätigkeit von GAJ: Fehlanzeige!
Klarer Fall also auch hier: „Die Zahlung der Maklercourtage entbehrte damit eines Rechtsgrunds“, heißt es im Bericht des Rechnungshofes. Das Geld sei zurückzufordern, auch hier müssten Schadensersatzansprüche gegen den Bürgermeister geprüft werden.
Zahlungen verstießen gegen Rechtsvorschriften
Das war aber noch nicht alles zum Thema Maklercourtage: Aus den übrigen Verträgen kassierte die GAJ weitere 165.352,89 Euro. Die Rechnungsprüfer schreiben: Dass die Stadt diese Maklercourtagen gezahlt hatte, verstieß „in nahezu allen Fällen gegen Rechtsvorschriften“.
- Die von Held behaupteten mündlichen Verpflichtungserklärungen zur Übernahme von Provisionsverpflichtungen wären (wenn es sie denn je gegeben hätte) bereits zivilrechtlich unwirksam, da formnichtig. Vertragliche Verpflichtungen der Stadt zur Zahlung der Provisionen waren also zu keiner Zeit begründet worden.
- Im Übrigen hätten solche Verpflichtungen nur aufgrund eines ermächtigenden Ratsbeschlusses eingegangen werden können. Der lag aber nur in einem Fall vor. In sechs Fällen gab es weder einen Eil- noch einen Ratsbeschluss. Und dort wo Eilentscheidungen vorlagen, waren diese mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen (Eilbedürftigkeit) und mangels unverzüglicher Bekanntgabe an den Stadtrat rechtswidrig.
Bei Kreditaufnahme wurde Aufsichtsbehörde umgangen
Als wär’ das alles nicht genug, stellen die Prüfer auch noch verwaltungstechnische Mängel fest:
Für den Ankauf etlicher Grundstücke standen keine Haushaltsmittel zur Verfügung, sie wurden erst in Nachtragshaushaltsplänen bewilligt Die Rechnungsprüfer sagen: „Der Abschluss der Kaufverträge war auch nicht ausnahmsweise im Wege außer- und überplanmäßiger Aufwendungen zulässig.“
Der Ankauf die Grundstücke wurde über Liquiditätskredite finanziert. Auch das sei „unzulässig“ gewesen, sagen die Prüfer: Liquiditätskredite seien nur bei kurzfristigem Geldbedarf zulässig; Baugrundstücke müssten laut behördlicher Vorgaben über Investitionskredite finanziert werden – die wiederum von der Aufsichtsbehörde zu genehmigen seien. Das habe seinen Grund: Wenn baureife Grundstücke nicht gleich weiterverkauft werden könnten, könnten einer Kommune bei Liquiditätskrediten unvorhersehbare Kosten drohen.
Tatsächlich, so schreiben die Prüfer, sitzt die Stadt in Krämereck-Süd noch auf etlichen Grundstücken: Mitte Juni waren von 43 Wohngrundstücken erst 35 verkauft worden, von 15 Gewerbegrundstücken sogar nur fünf.
Die offene Frage: Warum hat Held das getan?
Unterm Strich steht eine Frage: Warum? Warum hat sich Marcus Held derart rechtswidrig verhalten? Als Volljurist müsste er doch wissen, das sein Verhalten rechtswidrig war! Insbesondere: Warum zahlte er an einen ausgewählten Verkäufer einen Kaufpreis oberhalb des vom Stadtrat festgelegten Höchstpreises? Und warum ließ er einem kleinen, recht unbedeutenden Immobilienbüro Provisionen in sechsstelliger Höhe zukommen – ohne entsprechende Gegenleistung, auf Kosten seiner Stadt Oppenheim. Reines Gutmenschentum? Reiner Altruismus?
Die Antwort auf diese Frage muss hier offen bleiben. Die anonymen Autoren des Dossiers vermuten, dass „die systemische Übernahme der Provisionsverpflichtungen zur Verdeckung anderer wirtschaftlicher Absichten erfolgte“: So könnten „aus den nicht gerechtfertigten Provisionszahlungen Rückflüsse in Richtung der SPD Oppenheim und/oder sogar der Person Held gespeist worden sein“.
Held selbst hat bereits qua Allgemeiner Zeitung eingeräumt, dass es aus dem Dunstkreis (Gesellschafterkreis) der GAJ GmbH immer mal Spenden an die SPD gegeben habe. Dass es systemische Rückflüsse (gegebenenfalls auch von übermäßig vergüteten Verkäufern) gegeben haben könnte, bleibt dennoch reine Spekulation.
Die ganze Wahrheit müssen jetzt die Aufsichtsbehörden und vor allem die Staatsanwaltschaft klären. Die Frage nach dem eigentlichen Zweck der Heldschen Ankaufspraxis drängt sich jedenfalls auf.