Ein Sozialdemokrat verlangt die gelebte politische Kultur zurück

Torsten Kram hat sich zu Wort gemeldet. Mehr als 25 Jahre lang hatte sich der heute 51-Jährige für die Sozialdemokratie eingesetzt, bei den Jusos und in den verschiedensten SPD-Gremien in der Stadt, in der VG und auf Kreisebene, er saß für die SPD im Stadtrat und im VG-Rat.

2009 schmiss er die Brocken hin, als Reaktion auf die Politik von Marcus Held, der 2004 Stadtbürgermeister geworden war. Krams Begründung lautete damals unter anderem:

„Zur SPD gehört sicher der Begriff Solidarität. Doch wer Solidarität einfordert, sollte nicht Kadavergehorsam meinen. Ich habe in den letzten Jahren in der Politik vor Ort oft Beispiele von Selbstherrlichkeit, Arroganz und fehlender Transparenz erlebt. Und auch, wie Kritiker ausgegrenzt oder sanktioniert werden sollten, und nicht zuletzt, wie die politische Kultur gelitten hat.“

Jetzt, fast zehn Jahre später, hat Kram einen Brief geschrieben, vier DinA-4-Seiten lang. Er hat ihn bereits vor Wochen an den Oppenheimer SPD-Vorstand geschickt – und nichts gehört. Deshalb ging er jetzt an die Öffentlichkeit. Und prompt reagierte die Partei: Torsten Kram wurde zur Sitzung des Oppenheimer SPD-Vorstandes am nächsten Mittwoch eingeladen.

Frage an Torsten Kram: Wurde er wurde wirklich eingeladen? Oder nicht doch eher vorgeladen? Immerhin kursiert seit einiger Zeit das Gerücht, man wolle ihn aus der Partei ausschließen – auch weil er zu den Montags-Demos gegen den Stadtbürgermeister gehe, und weil er beim alternativen Neujahrsempfang gewesen sei…

„In der Mail steht Einladung“, beteuert Kram. Er werde auch an der Sitzung teilnehmen, seine Meinung offen darlegen und alle Fragen beantworten.

Angesichts des Schreibens, das er geschrieben hat, dürften ihn hitzige Diskussionen erwarten:

Schon damals, bei seinem Rückzug im Jahr 2009, habe er die „Seilschaftenpolitik mit ihren personelle Verflechtungen und Abhängigkeitsstrukturen“ kritisiert, schrieb Torsten Kram in seinem aktuellen Brief an die lokale SPD. Ende 2008 habe er in einer Vorstandssitzung des SPD-Verbands zu Protokoll gegeben:

„Ich kritisiere und beklage daher: Kommunikationsdefizite und mangelnde Transparenz des Vorsitzenden gegenüber dem Vorstand; selbstgerechtes Verhalten des Vorsitzenden und einiger seiner Mitstreiter gegenüber interner und externen Kritik; mangelhafter Umgang untereinander und dadurch bedingter Vertrauensverlust.“

Auch wenn klingt, als sei’s in diesen Tagen formuliert: Das sagte Kram, wie gesagt, vor gut zehn Jahren. Heute schreibt er:

„Ich hätte damals nicht geglaubt, dass die politische Kultur in Oppenheim nach 2009 noch mehr Schaden nehmen würde.“

Das Parteileben sei ärmer geworden. Wohl gebe es regelmäßig SPD-Vereinsfeste, die natürlich auch dazu gehörten. Aber regelmäßige Mitgliederversammlungen mit inhaltlichen Diskussionen seien „seit Jahren Fehlanzeige“. Die zweite historische Niederlage im einst sicheren SPD-Wahlkreis werde nicht aufgearbeitet, Selbstkritik sei bei der hiesigen SPD offenbar ein Fremdwort. Stattdessen sehe man „die Schuld für das Desaster vor Ort einzig und allein in der sog. ,Hetzjagd’ und den sog. ,Intrigen’ gegen Marcus Held.“

Auch eine Debatte zum Oppenheim-Skandal sei bislang ausgeblieben: „Bei diesem aktuellen und weit über die regionale Öffentlichkeit hinaus beachteten Thema herrscht in der Oppenheimer SPD das große Schweigen vor und man übt sich stattdessen weiter in ,blinder Solidarität’.“ Torsten Kram beklagt eine schweigende Parteibasis ohne jeglichen Frage- und Diskussionsbedarf; er moniert, dass führende SPD-Lokalfunktionäre „viel lieber in die Opferrolle’“ schlüpften und „in jeder kritischen Bemerkung eine ,Kampagne’ anonymer Kräfte“ sähen.

„Und während sich die SPD gegen jegliche Verdächtigungen in Bezug auf ihren Bürgermeister wehrt, spart die gleiche SPD nicht mit Verdächtigungen gegenüber Andersdenkenden.“ Das sei zu erleben gewesen in der Auseinandersetzung um den früheren hauptamtlichen VG-Beigeordneten Stork (CDU): Er kenne den Mann nicht näher, schreibt Kram, „aber der Umgang mit ihm war nicht nur für mich ein Zeichen politischer ,Unkultur’“.

Klare Worte eines anerkannten Sozialdemokraten. Warum er das alles zu Papier gebracht hat? Die Begründung findet sich in seinem Schreiben – Torsten Kram hat eine klare Vision von lokaler Politik:

„Es geht vor Ort nicht um Ideologien oder nach dem Raster ,gut’ und ,böse’. Es geht darum in der Freizeit für die Menschen und die Region etwas Positives zu entwickeln. Im fairen Wettbewerb der Ideen, mit einer Offenheit und Transparenz gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sowie ihren gewählten Ratsvertretern aller Fraktionen und schlussendlich mit einer gelebten politischen Kultur, die diesen Namen wieder verdient und am Ende wieder Lust macht, sich zu beteiligen“.

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