In Oppenheim herrscht wieder „business as usual“. War da was gewesen am letzten Sonntag? Die Polit-Plakate sind allesamt weg, sie wurden so blitzartig abgehängt und weggepackt, dass man glauben könnte, die Verantwortlichen in der Stadt wollten den kollektiven Urnengang schnellstmöglich vergessen machen.
Jetzt rüstet sich die Stadt schon wieder für das nächste „Event-Highlight“, das große Schlemmerwandern…
Schon vergessen, was geschehen ist? Der Oppenheimer SPD-Stadtbürgermeister Marcus Held wurde in seiner eigenen Stadt und auch in der Verbandsgemeinde in unerhörter Weise abgewatscht. Lokale Polit-Spitzen verbreiteten daraufhin abenteuerliche Verschwörungstheorien. Und zwei Beigeordnete gönnten sich, das soll ja ein probates Mittel gegen drückende Wahldepressionen sein, einen netten Ausflug in die Bundeshauptstadt, wer immer das auch bezahlt hat.
Wir schauen an diesem Samstag, mit der gesunden Ruhe des zeitlichen Abstands, auf die Wahl und ihre Nachwehen zurück: Das, was letzten Sonntag passiert ist, dürfte das politische Leben in Oppenheim nachhaltig verändern.
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Marcus Held, der in den Wochen des Wahlkampfes hyperaktiv die Social-Media-Kanäle bedient hatte, schlug gleich am Montag wieder seine Facebook-Seite auf und wandte sich an seine Fan-Gemeinde:
„Ich möchte mich bei allen Wählerinnen und Wählern ganz herzlich für ihr Vertrauen bedanken. Insgesamt 44.568 Wählerinnen und Wähler gaben mir ihre Erststimme, was mich sehr freut!“
Das war mal wieder so ein typischer Held-Satz: gefällig-geschmeidig für den flüchtigen Leser, bei näherem Hinsehen jedoch erkennen wir die typischen Symptome des geübten Fabulanten. Die Zahl, die Held nannte, mag auf dem ersten Blick vielleicht großartig klingen. Aber einen Mann mit seinem überbordenden Selbstwertgefühl wird sie niemals gefreut haben, ganz im Gegenteil, sie dürfte ihm höllisch weh tun. Weiß er doch ganz genau, dass ihm damit nahezu 10.000 Wählerinnen und Wähler abhanden gekommen sind:
Bei der letzten Bundestagswahl vor vier Jahren hatten im Wahlkreis Worms noch 53.948 Menschen ihr Kreuzchen für Marcus Held gemacht. Jetzt waren’s 9.380 weniger. Wo sind nur all die Wähler geblieben?
Diese Frage lässt einen Politiker nicht mehr los: Warum liefen all die vielen Wähler einfach weg von mir? Wie konnte das nur passieren?
Zum Vergleich: Für den CDU-Kandidaten Jan Metzler stimmten im Wahlkreis Worms 68.684 Menschen. Das sind nicht nur knapp 25.000 mehr als für Held. Metzler konnte die Zahl der für ihn abgegebenen Erststimmen auch noch deutlich steigern: Er bekam 7.347 mehr als vor vier Jahren.
Und ein Marcus Held wird sich deshalb jetzt auch diese Fragen stellen: Was hat der Metzler, was ich nicht habe? Warum nur ist der Mann bei den Leuten so viel beliebter als ich?
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Es ist ja nicht nur das Ergebnis im Wahlkreis Worms, das einen Held zum großen Loser dieser Wahl gemacht hat. Gehen wir in die Niederungen der Lokalpolitik, dann sehen wir: Das Ergebnis in „seiner“ Verbandsgemeinde Rhein-Selz fiel für ihn ebenfalls bedrückend aus: Die SPD holte hier bei den Zweitstimmen 23,4 Prozent; Marcus Held kam bei den Erststimmen auf 22,6 Prozent.
In diesen zwei Zahlen steckt eine ganz bittere Wahrheit: Wenn ein Kandidat weniger Erst- als Zweitstimmen bekommt, bedeutet das, dass etliche Menschen wohl seiner Partei ihre Stimme gaben, den Kandidaten selbst aber nicht ihr Vertrauen schenken wollten. Sie halten ihn offenbar für nicht geeignet. Für nicht wählbar.
Marcus Held hat in Rhein-Selz mit 22,6 Prozent 15,4 Prozent der Erststimmen verloren. Für einen Politiker, für seine Partei ist das ein Fanal!
Schauen wir rüber zum Konkurrenten Jan Metzler: Der CDU-Kandidat holte im Gebiet der Verbandsgemeinde 44,6 Prozent der Erststimmen und 34,2 Prozent bei den Zweitstimmen. Bei Metzler ist es also genau umgekehrt: Viele Wähler wollten der Merkel-Partei nicht ihr Kreuzchen geben. Aber den Kandidaten halten sie für vertrauenswürdig und gut geeignet, ihre Interessen zu vertreten. Jan Metzler konnte seinen Stimmenanteil in der Verbandsgemeinde sogar noch um 4,4 Prozent steigern.
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Gehen wir noch eine Stufe tiefer, dann kommen wir in Oppenheim an. Nach der letzten Bundestagswahl 2013 durfte sich Marcus Held in seinem Wohnort als Triumphator fühlen: Jeder zweite Wahlberechtigte hatte ihm seine Erststimme gegeben – 50,1 Prozent! Fürwahr ein beeindruckendes Ergebnis! Das Signal war unmissverständlich: Die Menschen in seiner Stadt setzten auf Marcus Held. Sie vertrauten ihm, sie bauten auf ihn.
Jetzt der Absturz, wie er schlimmer kaum sein kann. Nur noch kümmerliche 31,6 Prozent bekam Held. Ein Minus von 18,5 Prozent – ein Desaster! Der Amtsbonus als Stadtbürgermeister – verspielt. Die tagtägliche Präsenz in den Medien – umsonst. Mit dem Slogan „Wir mit Marcus Held“ hatte er in seinem Wahlkampf getrommelt. Die Abstimmung entlarvte den Spruch als distanzlose Anbiederung, die Wähler formulierten ihn an der Urne einfach um: Wir nicht mit Marcus Held!
Es ist eindeutig: Die Oppenheimer haben das Vertrauen zu ihrem Stadtbürgermeister verloren. Sie haben dem Mann ihre Zuneigung entzogen. Sie haben, als sie allein und unbeeinflusst in der Wahlkabine standen, das ihnen zustehende demokratische Recht genutzt und ihre eigene Entscheidung getroffen: Der Held kriegt mein Kreuzchen nicht!
Schnell auch hier ein Seitenblick rüber zum direkten Kontrahenten von der CDU: Jan Metzler bekam in der SPD-Hochburg Oppenheim mehr Erstimmen als der amtierende Stadtbürgermeister: 33,7 Prozent! Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl konnte der Christdemokrat sogar noch 3,4 Prozent zulegen. Das ist, man kann’s nicht anders nennen, ein sensationeller Erfolg!
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Was, zum Teufel, ist nur in Dolgesheim passiert? Keine tausend Menschen leben in dieser Weinbaugemeinde, das gut 15 Autominuten von Oppenheim entfernt zu finden ist. Exakt 809 der Einwohner sind über 18 Jahre alt, und von denen gingen am Sonntag 474 zur Wahl.
106 von ihnen machten ihr Kreuzchen hinterm Namen des SPD-Kandidaten Marcus Held, das sind 22,8 Prozent. Auch dieses Ergebnis ist schrecklich für den Mann: Letztes Jahr hatten ihn noch 184 Dolgesheimer gewählt, das waren stolze 42,5 Prozent.
19,7 Prozent hat er hier binnen vier Jahren verloren: In keiner anderen Kommune der Verbandsgemeinde Rhein-Selz hat Marcus Held derartige Verluste hinnehmen müssen.
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Dolgesheim führt die Negativ-Liste des SPD-Kandidaten Marcus Held an.
Auf Platz zwei liegt „sein“ Oppenheim mit minus 18,5 Prozent.
Das drittschlechteste Ergebnis in der Verbandsgemeinde kassierte Held in Uelversheim: Hier verlor er im Vergleich zur letzten Bundestagswahl 17,5 Prozent der Erststimmen.
Auch das ist bemerkenswert: Denn in Uelversheim regiert Held-Buddy Rudolf Baumgarten als SPD-Bürgermeister.
Inzwischen wissen wir: Baumgarten (O-Ton Held: „der rote Hengst von Uelversheim“) drängt’s immer wieder aus seinem kleinen Ort hinaus, überall versucht er mitzumischen. Längst ist er tief verstrickt im Oppenheimer SPD-Netzwerk, bekommt als Planer und auch als Makler von Marcus Held regelmäßig Aufträge zugeschanzt, mischt mit in Oppenheimer Vereinen und Vereinigungen. In der Gemeinde Guntersblum wiederum hat er den Vorsitz der potenten Ortsgruppe der Arbeiterwohlfahrt (AWO) inne…
Dass Marcus Held mit seiner Kandidatur in Uelversheim derart abschmierte, lässt nur einen Schluss zu: Baumgartens Verstrickungen in den Oppenheim-Skandal wurden von den Bürgern seiner Gemeinde sehr genau registriert – und für nicht gut befunden. Mit ihrer Entscheidung gegen Marcus Held gingen die Wahlberechtigten von Uelversheim zugleich auch deutlich auf Distanz zu Rudi Baumgarten, ihrem SPD-Bürgermeister.
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Als feststand, dass die Wähler sich von Marcus Held abgewandt hatten, da suchten seine Weggefährten nach Erklärungen für die krachende Niederlage. Nicht bei sich und auch nicht bei ihm. Sie entwickelten flugs ein paar Verschwörungstheorien, die sie über die „Allgemeine Zeitung“ unwidersprochen in die Welt hinaus posaunen konnten:
Michael Reitzel, das SPD-Urgestein in Rheinhessen, der als politischer Ziehvater von Marcus Held gilt, diktierte dem AZ-Redakteur in den Block: „Natürlich registriere ich da auch einen Zusammenhang mit den gegen Held gesponnenen Intrigen.“ Soll wohl heißen: Er, Reitzel, habe eine geplante Strategie ausgemacht – bei wem auch immer –, mittels derer Marcus Held der Wahlerfolg genommen wurde.
Klaus Penzer, der alte Haudrauf aus der Verbandsgemeindeverwaltung, ging noch einen Schritt weiter: Er sprach von einer „Hetzjagd“, die Held das miese Ergebnis eingebrockt habe. Dass er sich für seine selbstgestrickte Blitz-Analyse beim Vokabular von AfD-Akteuren bediente, die damit ihre Kritiker zu denunzieren versuchen, wird ihn kaum stören: Penzer ist bekannt dafür, dass er auf politisch Andersdenkende mit der Sensibilität eines Panzers reagiert.
Leider führten weder Herr Reitzel noch Herr Penzer aus, wen sie hinter den „gesponnenen Intrigen“ oder auch der vermeintlichen „Hetzjagd“ wähnten. Glauben sie ernsthaft, die Beamten des Landesrechnungshofs, die seit Monaten die dubiose Geschäftstätigkeit des Stadtbürgermeisters überprüfen, würden Intrigen spinnen? Oder wollen sie die Mainzer Staatsanwaltschaft einer Hetzjagd bezichtigen, weil sie Ermittlungen gegen Marcus Held wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet hat? Oder sollte die journalistische Aufarbeitung des Oppenheim-Skandals gemeint sein, mit der die zahlreichen Affären des SPD-Politikers umfassend dokumentiert werden?
Wenn Menschen die Kontrolle entgleitet, weiß die Psychologie, dann basteln sie mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft die wahnwitzigsten Erklärungen für das zusammen, was um uns herum oder mit uns geschieht. So geben sich Reitzel und Penzer als Inkubatoren neuer Oppenheimer Verschwörungstheorien: Gründe fürs Versagen des SPD-Kandidaten Marcus Held bei der Bundestagswahl werden irgendwo verortet – nur nicht beim Kandidaten, bei seinem Auftreten, bei seinem Handeln. Es kennzeichnet übrigens Verschwörungstheorien, dass sie in ihren sektenhaften Communities immer wieder Bestätigung erheischen. Auch das: passt!
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In vielen anderen Orten der Republik wäre das desaströse Abschneiden eines Stadtbürgermeisters bei der Bundestagswahl tagelang Gesprächsthema, die Redakteure der Lokalzeitung würden das Ergebnis immer wieder von allen Seiten kritisch beleuchten und auf mögliche Folgen und Konsequenzen für die lokale Politik und die Menschen in der Stadt abklopfen.
Die Oppenheimer Lokalzeitung tut sich mit der Berichterstattung über diesen für Marcus Held so schlechten Wahlausgang ausgesprochen schwer, was vielleicht erklärlich wird, betrachtet man die enge Verbandelung der Redaktion mit den Politakteuren an der Stadtspitze.
Hinzu kommt: In den Tagen vor der Wahl hatte Marcus Held in der „Allgemeinen Zeitung“ ganz massiv Anzeigen geschaltet, für sich und für die SPD. Er war in geradezu aufdringlicher Weise sowohl in der gedruckten Zeitung wie auch auf deren Homepage präsent. Jetzt, da das Ergebnis vorliegt, macht die Analyse dem Verlag ebenso zu schaffen wie den Anzeigenkunden:
All die schöne Werbung – sie war für die Katz! Rausgeschmissenes Geld! Der bombastische Werbe-Feldzug – er hat nichts gebracht. Null! Zero! Niente!
Das lässt die Verantwortlichen rätseln: Besitzt diese Art teurer Polit-Werbung in einer Zeitung überhaupt noch eine Wirkkraft? Oder liegt’s vielleicht doch am Kandidaten?
Wenn letzteres der Fall wäre, hieße das: Auch noch so viele Anzeigen machen einen unbeliebten, schlechten Politiker für die Menschen nicht wählbar.
Das wäre dann die beste Botschaft dieser Tage: Die Wähler lassen sich nicht für dumm verkaufen. Sie haben nicht nur das Recht, sich bei einer Wahl frei zu entscheiden. Sie nutzen es auch!
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Die Polit-Protagonisten machen derweil in Oppenheim weiter, sie tun so, als sei nichts geschehen.
Prüfungen vom Landesrechnungshof? Na und?
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Stadtbürgermeister? Beweist doch gar nichts!
Eine Million beim Gradinger-Abbruch versenkt? Was soll’s?
Mit der Tourismus GmbH Gelder in sechsstelliger Höhe der Stadtkasse entzogen? Stört’s wen?
Lebbe geht weiter! Und deshalb machten die beiden Beigeordneten Hans-Jürgen Bodderas und Helmut Krethe in der vergangenen Woche erst einmal einen schönen Ausflug in die Bundeshauptstadt – man gönnt sich ja sonst nix, wer die Reise bezahlt hat, wollen wir hier mal nicht hinterfragen.
Jedenfalls besuchten sie den Botschafter der Volksrepublik Vietnam und hätten natürlich, wie sie schmusig formulierten, die Gelegenheit genutzt, „Werbung für unser schönes Oppenheim zu machen“. Und, ganz wichtig: „Die städtischen Vertreter überbrachten die Grüße von Stadtbürgermeister Marcus Held“, steht jetzt auch auf der Homepage der Stadt nachzulesen, wo unter der Völker verbindenden Überschrift „Vietnam meets Oppenheim“ ein kurzer Kurzbericht des Berlin-Trips zu lesen ist.
Vietnamesische Delegationen sollen künftig neben Frankfurt und Wiesbaden auch Oppenheim besuchen. So lautete der Bodderas-Krethe-Plan. Vor einem Jahr hatte sich Helmut Krethe noch damit gebrüstet, er wolle Chinesen nach Oppenheim locken.
Jetzt also sind die Vietnamesen dran.
Ideen haben sie ja. Schön reden können sie auch. Aber ob die Stadt Oppenheim jemals davon profitieren wird?