Frau Sadoni, das Johlen der SPD und die Entgleisung des Claus Schick

In der „Allgemeinen Zeitung Landskrone“ erscheinen seit Wochen regelmäßig Leserbriefe, in denen entweder jede Kritik an SPD-Stadtbürgermeister Marcus Held mit Empörung zurückgewiesen oder aber seine Leistung glorifiziert wird. Wenn man genauer hinschaut, ist zu erkennen: Die Schreiber haben enge Verbindungen zu Marcus Held, zur lokalen SPD oder zu Unternehmen, die von Held geführt werden.

Die Leserbriefe in der Lokalzeitung: eine organisierte Kampagne der SPD?

Heute steht ein Leserbrief von Gabriele Sadoni in der Zeitung. Der Oppenheimer Schriftsteller Frieder Zimmermann hat ihr darauf in einem offenen Brief geantwortet, den wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.

Frau Sadoni mokiert sich darüber, dass der Redakteur der Zeitung, Ulrich Gerecke, die Beifallsbekundungen für Marcus Held beim SPD-Heringsessen wie auch beim Neujahrsempfang als „johlen“ bezeichnet habe. Die Presse, so behauptet sie, müsse unterscheiden zwischen Kommentar und Bericht – sonst könne man meinen, „dass Teile der Oppenheimer Bürgerschaft verunglimpft werden sollen“.

Zur besseren Einordnung dieser sehr speziellen Meinung muss man wissen: Frau Sadoni ist, wie in der Zeitung erwähnt, Beisitzerin im Oppenheimer SPD-Vorstand. Dazu ist die frühere Kita-Leiterin noch stellvertretende Kassiererin im Vorstand der SPD Rhein-Selz. Und nicht zuletzt durfte sie sich mit einer 1000-Euro-Einlage an der von Marcus Held initiierten Tourismus GmbH beteiligen.

Frieder Zimmermann schreibt:

Sehr geehrte Frau Sadoni,

in Ihrem heute in der AZ-Landskrone abgedruckten Leserbrief verbinden Sie in beeindruckender Weise eine Einführung in die Semantik der deutschen Sprache mit einer bemerkenswerten  Interpretation der von der Landskronredaktion verwendeten Wortwahl bei der Berichterstattung zum SPD-Heringsessen und zum Neujahrsempfang der Stadt. Das schwache Verb „johlen“ ist Ihnen besonders negativ aufgefallen. Nicht weil es schwach ist, vielleicht zu schwach, um die bei den Beifallsbekundungen zum Ausdruck gebrachte gewaltige Euphorie zu beschreiben. Nein, weil der Online-Duden es im Gebrauch als „abwertend“ qualifiziert. Mit „abwertend“ meint der Duden hier: 

1. (meist von einer Menschenmenge) anhaltendes wildes, misstönendes [Freuden-, Triumph]geschrei ausstoßen

2. johlend hervorbringen, rufen o. Ä.

So steht es im Folgetext. Johlen ist anhaltend, dauert also etwas länger, wild, also enthemmt, und misstönend, also unharmonisch. Wenn der Landskron-Redakteur die Beifallsbekundungen als anhaltend, wild und misstönend wahrgenommen hat, ist die Bezeichnung „johlen“ eine durchaus wertneutrale Benennung. Oder war das Klatschen rhythmisch austariert und der vokale Jubel des Publikums harmonischer Wohlklang in polyphoner Perfektion? Ich war nicht dabei, aber ich vermute, eher nicht. Abwertend bedeutet bei „Johlen“ lediglich das Fehlen von Harmonie in der Mehrstimmigkeit . Hätte der Redakteur die Beifallsbekundungen selbst tatsächlich abwerten wollen, hätte er die Verben „blöken“, „plärren“, „grölen“ oder „krakelen“ benutzt.

„Johlen“ ist übrigens ein Onomatopoetikum, das etymologisch auf den Zustimmung ausdrückenden Ruf „Jo!“ zurück geht, wie übrigens auch „jodeln“. Der Redakteur hat also keineswegs gegen den journalistischen Ehrenkodex verstoßen, wenn er die Beifallsbekundungen zu Herrn Schicks Verbalattacken als „Johlen“ bezeichnete. Das Publikum hat doch Zustimmung ausgedrückt, oder nicht?

Herr Schick (Claus Schick, der frühere Landrat – Anm. d.Red) wird ganz froh sein, dass der von ihm angegriffene Redakteur nicht mit gleicher Münze zurück zahlte. Herr Gerecke hat auch darauf verzichtet, die unqualifizierten, unangemessenen, beleidigenden Ausbrüche von Herrn Schick und das Ausbleiben von Protesten dagegen aus dem Publikum zu bewerten. Schließlich wurde der Redaktion der AZ-Landskrone von Herrn Schick Hetze und das Schüren von Pogromstimmung vorgeworfen.

Der Duden schreibt zu Pogromstimmung „Substantiv, feminin – Stimmung, aus der heraus es leicht zu einem Pogrom kommen kann“. „Pogrom“, Substantiv Maskulinum oder Neutrum, kommt aus dem Russischen und bedeutet Verwüstung oder Verheerung. Der Vorwurf von Herrn Schick ist zwar eine unglaubliche Entgleisung eines ehemaligen Amtsträgers, wurde vom Publikum beim Neujahrsempfang der Stadt in der Landkronhalle aber (wertfrei ausgedrückt) mit Zustimmung bedacht.

Das, Frau Sadoni, ist der eigentliche Skandal. Herr Schick rückt die Berichterstattung über die gesetzmäßige, neutrale Arbeit von Landesrechnungshof und Staatsanwaltschaft in die Nähe von auf Gewaltanwendung abzielende Hetze gegen nationale, religiöse oder rassische Minderheiten. Und Sie sehen die Gefahr, Teile der Oppenheimer Gesellschaft könnten verunglimpft werden. Aber nicht von Herrn Schick, sondern der Presse, die ihre Arbeit macht und ihrer Verantwortung für eine freie, pluralistische und demokratisch verfasste Gesellschaft nachkommt?

Die von Ihnen geforderte „friedensstiftende Maßnahme“ erwarte ich von Herrn Schick. Von geschichtsbewussten Sozialdemokraten, die wissen, wer Otto Wels und Kurt Schumacher waren, erwarte ich als friedensstiftende Maßnahme, dass sie sich von den unsäglichen Aussagen von Herrn Schick distanzieren.

Mit freundlichen Grüßen

Frieder Zimmermann

www.friederzimmermann.com

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