Und sie bewegt sich doch! Die „Allgemeine Zeitung Landskrone“ berichtet in ihrer Samstagsausgabe über die politisch-zwischenmenschliche Atmosphäre in der Stadt seit Bekanntwerden des Oppenheim-Skandals. In der gedruckten Zeitung lautet die Überschrift kurz und prägnant „Gereizt!“, auf der AZ-Webseite ist sie etwas länger: „Nicht erst seit der Affäre um Bürgermeister Held ist das politische Klima in Oppenheim erhitzt“.
Es ist ein lesenswerter Hintergrundbericht, in dem der lokale Redaktionsleiter Ulrich Gerecke erstmals offen aufzeigt, wie umstritten Stadtbürgermeister Marcus Held in der Stadt dasteht. „Bei der örtlichen Presse stapeln sich derweil Briefe mit Vorwürfen gegen den Bürgermeister – wegen des Krämerecks, aber auch wegen Mietstreitigkeiten oder der Bebauung am Zuckerberg“, schreibt der Redakteur, und auch: „Freund wie Feind gilt der seit 13 Jahren regierende Stadtchef als engagiert, aber auch als polarisierend und wenig zimperlich im Umgang mit Gegnern.“
Das sind ganz neue Ansätze der Nachdenklichkeit und Reflexion, die – ausweislich diverser Zuschriften – manch Leser in der Zeitung bislang vermisste. Natürlich hätte man sich gerne auch eine kritische Analyse der jüngsten Entwicklungen gewünscht: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Stadtbürgermeister, der Rechnungshof spricht sogar von weiteren Tätern – das sind Nachrichten, die andernorts ein Gemeinwesen implodieren lassen und ganze Zeitungsseiten füllen. Aber vielleicht brauch gut Ding in Oppenheim nur etwas Weile…
...wird der Theaterdonner verstummen
Auf den AZ-Artikel reagierte der Schriftsteller Frieder Zimmermann mit einem offenen Brief. Der Autor von zwei Rheinhessen-Krimis („Weinbergsfallen“ und „Kasernenmord“, Verlag Matthias Ess, Bad Kreuznach) gilt als kritischer Beobachter Oppenheims – das betrifft den Weinbau, die Medien und nicht zuletzt die Politik. Seinen Brief dokumentieren wir hier im Wortlaut:
Das politische Klima in Oppenheim ist nicht gereizt, sondern vergiftet. Die Stadt als „Hort der Zwietracht“ zu bewerten und die sogenannte Causa Held als Ursache für die Eskalation des Streits auszumachen, ist zu oberflächlich und zu einfach. Die Ursachen liegen sehr viel tiefer, sind viel komplexer als es die Analyse eines Journalisten darstellt, der erst seit weniger als drei Jahren in Oppenheim tätig ist.
Das politische Klima heute in der Stadt Oppenheim ist das Resultat eines politischen Phänomens, das in einer Demokratie nicht vorgesehen ist, aber auch nicht ausgeschlossen werden kann. In einer Demokratie werden Parteien und Personen auf Zeit mit Mandaten versehen und in Amtspositionen gewählt. Demokratien leben vom Wandel, vom Wechsel, von der Reflektion der Pluralität einer Gesellschaft in den politischen Entscheidungsbereichen.
Wo das nicht der Fall ist, wo Personen und Parteien über lange Zeit Machtpositionen besetzen, ohne eine ernsthafte Konkurrenz fürchten zu müssen, dort verfestigt sich bald ein ganz anderes Verständnis von Demokratie. Und genau vor diesem Phänomen stehen wir heute in Oppenheim.
Die SPD stellt hier seit ewigen Zeiten den Bürgermeister. Die Unterbrechung durch Norbert Becher war eher ein Versehen, eine Episode. Die SPD hat in Oppenheim aber nicht nur schon immer das Rathaus dominiert, sondern hat schon immer das gesamte soziale und kulturelle Netzt der Stadt infiltriert und okkupiert.
Die Bürgermeister Erich Menger und Marcus Held haben die Taktik der Durchsetzung gesellschaftlicher Einrichtungen mit eigenen Getreuen geradezu perfektioniert. Beide waren und sind darüber hinaus Meister der Selbstinszenierung und verstanden bzw. verstehen es, in hochprofessioneller Weise negative Entwicklungen in positive Errungenschaften umzuwandeln.
Das geschäftliche Aussterben der Altstadt, das Versäumnis, hier einen strukturellen Wandel zu gestalten, die dramatische Verschuldung, der Rückfall im Vergleich zu ähnlichen Kleinstädten, all das wird übertüncht mit einer Propaganda des Schönredens. Das hat immer funktioniert. Die SPD und ihre Protagonisten haben die politische Bühne dominiert, den Intendanten gestellt, den Spielplan aufgestellt, Regie geführt und alle Hauptrollen besetzt. Für die Vertreter politisch Andersdenkender blieben in Oppenheim stets nur Nebenrollen und Statistenfunktionen übrig.
Aber Oppenheim hat sich verändert. Seit Jahren ziehen verstärkt Neubürger in die Stadt, die mit dem traditionell fest gefügten, verfilzten Rollenspiel nicht vertraut sind und sich wundern, nach welchen Regeln hier das Geschehen abläuft. Die Causa Held ist nicht Ursache der Eskalation, sondern lediglich Auslöser.
Dass versucht wurde, Vorgänge, die den Landesrechnungshof zur Prüfung veranlasst und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ausgelöst haben, als feigen Anschlag auf einen tadellosen Bürgermeister darzustellen, haben die Bürger, deren Verstand nicht benebelt oder doktriniert ist, nicht begriffen. Dass jemand, der mögliches Fehlverhalten, das sogar strafrechtlich relevant sein könnte, öffentlich gemacht hat, als der eigentliche Übeltäter dargestellt wurde, hat dann, und das ist neu in Oppenheim, auch den ansonsten üblicherweise schweigenden Teil der Bürgerschaft auf die Palme gebracht.
Wer heute in Oppenheim Aufklärung will, wer auf der Beantwortung offener Fragen besteht, wer auf Ungereimtheiten, Versäumnisse und Verstöße hinweist, und das machen inzwischen viele Bürger, der ist in den Augen der regierenden SPD und ihres Frontmanns ein Feind mit Vernichtungsabsicht. Das sind typische Symptome von Herrschaftsdekadenz, die man u.a. auch beim türkischen Präsidenten Erdogan beobachten kann.
Diese Symptome zeigen Mächtige in der Regel kurz vor dem Fall. Wir erinnern uns an Kurt Beck. Das Klima in Oppenheim mag gereizt oder auch vergiftet sein, wenn die Hochmütigen gefallen sind, wird der Theaterdonner verstummen und das Gewitter seine reinigende Wirkung haben. Das wird dem Wohlbefinden und der Lebensqualität in dieser Stadt sehr zuträglich sein.
Besser als Frieder Zimmermann kann man es nicht beschreiben.
gut geschrieben (er kann’s ja auch), aber der Ausblick stimmt leider nicht! Der Donnerhall ist verklungen, und schon ziehen neue Wolken in Form neuer Protagonisten auf, oder glauben Sie wirklich, es gäbe dann ein Macht- und Herrschervakuum? Wohl doch kaum; nur die Handelnden werden ausgetauscht! Da kommen eben andere „Ratten“ aus ihren Löchern, die an die Fleischtöpfe wollen! Und jeder von „denen“ hat Verwandte, Freunde, Partner, die Ansprüche stellen. In einer Demokratie stört eigentlich nur der Mensch! Lesen Sie mal wieder „Farm der Tiere“!
Lieber Herr Podesta,
„stimmt“ und „stimmt nicht“ gibt es in der Mathemathik. Bei der Bewertung von politischen Vorgängen und Sachverhalten gibt es diese Kategorisierung nicht. Ich sehe das jedenfalls nicht so fatalistisch und in der Konsequenz nicht so negativ wie Sie. Es gibt eine Fülle positiver Beispiele von Gemeinden mit Bürgermeistern und Räten, die uneigennützig und im Dienst für das Gemeinwohl ihre Arbeit machen. Das kann auch in Oppenheim irgendwann einmal wieder so sein. Wenn man denkt es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her ;o)
na ja Herr Zimmermann, das kann sein, muss aber nicht! Ich habe sehr lange nachgedacht und habe so at hoc keines der von Ihnen angesprochenen Beispiele gefunden!
Nadel im Heuhaufen oder Korn im Misthaufen? Es würde mich sehr freuen, wenn Oppenheim zur Ruhe käme! Die Bürger haben es verdient! Leider gibt es ja auch noch den Herrn Penzer! Auch kein pos. Beispiel, leider!