Eine Flatrate von der Tageszeitung

Marcus Held und die lokale Presse, das scheint eine ganz besondere, nahezu innigliche Beziehung zu sein. Der heutige SPD-Bundestagsabgeordnete und Stadtbürgermeister jobbte von 1995 bis 2003 als freier Mitarbeiter bei der „Wormser Zeitung“ und der „Allgemeinen Zeitung“. Das schweißt zusammen, was eigentlich nicht zusammen gehört. In der Wissenschaft spricht man von mutualistischer Symbiose: wenn aus der Wechselbeziehung zwischen Lebewesen zweier Arten beide Partner Nutzen ziehen. Marcus kann seinen Namen kostenfrei promoten, das ist immer schön für einen Politiker. Die Zeitung kann ihre Seiten füllen, das macht’s bequem für die Redaktion.

Aber ob’s die Leser wirklich goutieren?

Wir müssen an dieser Stelle kurz, wirklich nur ganz kurz, medienpolitisch werden. Der Historiker und Journalist Dieter Golombek (man nennt ihn auch „Mister Lokaljournalismus“, er war Gründer und Jurysprecher des Lokaljournalistenpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung) hat mal geschrieben:

„Die freie Presse ist im lokalen Bereich besonderen Belastungen ausgesetzt. Gerade hier treten Störfälle im System der Machtbalance zu Tage. Der Störfall ist zum Beispiel eingetreten, wenn ein Kommunalpolitiker erzählt, es sei ihm gelungen, ‘seine‘ Lokalredakteure durch viele freundliche Kontakte, das vertrauliche ‘Du‘ inklusive, zur Harmlosigkeit zu erziehen. Der Störfall nimmt eine dramatische Form an, wenn der Skandal zum Stadtgespräch wird und darüber kein Sterbenswörtchen in der Zeitung zu finden ist.“

Genug zitiert! Jetzt schauen wir nach Oppenheim – und was sehen wir? Nahezu jeden Tag schafft es Marcus Held, dass er seinen Name in der örtlichen Lokalzeitung „Allgemeine Zeitung Landskrone“ lesen kann. Ob er die Lokalredakteure mit dem vertraulichen „Du“ eingewoben hat, das wissen wir nicht, wollen es deshalb auch keinesfalls behaupten. Wir sehen nur:

Der Mann wird von der Redaktion regelrecht hofiert. Zu nahezu jedem Thema wird er gefragt bzw. wird seine Wortmeldung veröffentlicht. Spötter haben die Ausgabe „Landskrone“ längst umgenannt in „Allgemeine Helden-Zeitung“. Der Mann scheint im Besitz einer Namensnennung-Flatrate. Kleine Auswahl aus den ersten zwei Juni-Wochen:

12.06: „Fragen zu Wahlalter und Ehe für alle“ – Held diskutiert mit Jugendlichen.

10.06.: „Telekom kündigt VDSL-Anschlüsse“ – Marcus Held bestätigt, dass Kündigungen echt sind.

09.06.: „Einstimmig ist nur das Ergebnis: Oppenheim richtet Akteneinsichtsausschuss ein“ – Bericht über die Stadtratssitzung.

07.06.: „Nächstes Kapitel in der Oppenheimer Zuckerberg-Saga“ – Marcus Held bekam ein Schreiben, dessen Inhalt er nicht verraten darf.

07.06.: „Im Autoscooter dreht sich alles um Spaß“ – Marcus Held eröffnet Kerbespaß.

02.06. „Restaurant-Gäste verärgert über Parkgebühren am Oppenheimer Strandbad“ – Marcus Held nimmt Stellung.

01.06. „Postagentur in Oppenheimer Altstadt schließt zum 1. November und findet im Krämereck Unterschlupf“ – Marcus Held sagt seine Meinung.

Das ist eine kleine Auswahl, wohlgemerkt! Das Archiv der „Allgemeinen Zeitung“ weist allein für die Zeit vom 1. bis 13. Juni insgesamt 25 Artikel aus, in denen Marcus Held erwähnt wird. Im Monat davor waren’s 54 Marcus-Held-Artikel. Das sind im Schnitt nahezu zwei Artikel pro Tag! Da eine Zeitung nicht jeden Tag erscheint, gibt’s ab und an natürlich eine Häufung. Rekord-Tag dieses Monats: Am 10. Juni wurde Marcus Held gleich in fünf Artikeln erwähnt!

Lassen wir noch einmal kurz Dieter Golombek zu Wort kommen:

„Die Zeitung darf sich nicht einbinden lassen in politische Geschäfte durch Vertraulichkeit. Die politisch Handelnden verfolgen andere Interessen, sie wollen Entscheidungen durchsetzen, sie sind daran interessiert, nur Tatsachen ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen, die für ihr Vorhaben sprechen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie die lokalen Medien in diesem Sinne instrumentalisieren wollen.“

Die lokale Tageszeitung, schreibt Golombek auch, „ist der Chefanwalt für Öffentlichkeit vor Ort“.

Ist sie das wirklich? In Oppenheim?

 

2 Kommentare zu „Eine Flatrate von der Tageszeitung“

  1. Glückwunsch!!!
    Endlich formuliert einmal jemand, wie es tatsächlich bei uns aussieht. Abgesehen von den unendlich viel Held-Nennungen und -Berichten müssen wir auch mindestens ebnsooft Bilder von ihn ertragen. Zu sagen ist auch, dass Leserbriefe zu diesem Thema ausgebremst und teils verstümmelt werden.
    Ich habe in den letzten Jahren unglaublich viel mit diesem
    machtbesessenen und skrupellosem Politiker erlebt, ich werde mich def. wieder melden.

  2. Nicht nur die nahezu tägliche Hofberichterstattung der AZ-Landskrone über die Herren Marcus Held, aber auch Michael Reitzel und Thomas Günther ist ärgerlich. Noch viel ärgerlicher ist die Tatsache, dass sich die AZ sehr direkt auch selbst in das politische Geschehen einmischt. So hat der FWG-Sprecher Friedhelm Schmitt anlässlich der letzten Sitzung des Verbandsgemeinderats die völlig berechtigte Frage nach der „Art der Verabschiedung des hauptamtlichen Beigeordneten Michael Stork“ gestellt. Der Redaktionsleiter der Landskrone Ulrich Gerecke kommentiert das in seinem Beitrag vom 05.07.2017 als „Zündeln mit einem Reizthema“ und empfiehlt eine „Stänker-Pause“. Mit solchen Stellungnahmen wird die Freiheit der Presse zu Tode geritten, und es stellt sich drängend die Frage: Wer kontrolliert eigentlich die Presse, wenn sie nicht einmal die primitivsten Regeln einer guten Journalistik einhält.

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